Frauen, wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu heulen. Erfüllt das bereits den Tatbestand des Sexismus oder ist das einfach nur der fehlgeleitete Humor eines verwirrten, aber liebenswerten alten Mannes. AGITANO-Kolumnist Ulrich B Wagner fragt sich im heutigen Beitrag von „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“: Wo hört der berechtigte Kampf um Gleichberechtigung auf und wo läuft eine Gesellschaft Gefahr, komplett humorlos zu werden?
—
„Schöne neue cleane angstbesetzte prüde Welt.
Gegen diese Schreckensvision würde ich die nicht mehr ganz frischen
Herrenwitz-Schwadroneure in Kauf nehmen.“
Cora Stephan, DIE WELT
„Humor ist das umgekehrt Erhabene. Er erniedrigt das Große, um ihm das Kleine, und erhöht das Kleine, um ihm das Große an die Seite zu setzen … .“
Jean Paul
—
Über Humor lässt sich bekanntlich trefflich streiten
Doch davon später mehr. Es ist fast genau zwei Jahre her, da saß der damalige, leicht in die Jahre gekommene Polit-Dinosaurier und damalige Spitzenkandidat der FDP, Rainer Brüderle, nicht mehr ganz nüchtern an der Hotelbar des Maritim-Hotels und wurde mit seinem flapsigen „Herrenwitz“ unfreiwillig zum Aufhänger des STERN und seiner Redakteurin Laura Himmelreich. Der Text gilt mit Recht einhellig sowohl als ein gutes und zugleich sehr schlechtes Stück Journalismus. Mit Recht und sehr schlüssig thematisierte Himmelreich damals die Herablassung, die Zoten und wie DER SPIEGEL es nannte, „ … die selbstgerechte Übergriffigkeit eines mächtigen alten Mannes gegenüber einer jungen Frau.“ Auf der einen Seite war es ein Musterbeispiel einer kriegerischen Kommunikation, da sie ausschließlich ad hominem argumentierte, sozusagen, direkt auf die Zwölf und ohne Umwege auf die Person. Ohne Angst vor Verlusten. Es ging ihr damals nicht einmal um die Sache an sich, wie sie später einräumte. Und doch hatte sie, wie im derzeit aktuellen Fall des englischen Nobelpreisträgers für Biochemie und Professors Thomas Hunt, eine Debatte über alltäglichen Sexismus angestoßen, die damals wie heute die breite Öffentlichkeit bewegt.
Die bereits eingangs zitierte WELT-Redakteurin Cora Stephan fand meines Erachtens damals schon in diesem Kontext die passenden Worte, als sie in »Frauen können sich wehren, wenn sie denn wollen« schrieb: „Wenn schon ein wenig gelungener Auftritt eines offenbar nicht mehr ganz nüchternen Politikers in einer Bar zur späten Stunde alle weibliche Welt über »Sexismus« wehklagen lässt, dann frag ich mich, wie wir künftig Verhalten nennen wollen, das wirklich sexistisch ist. Weil es handgreiflich und gewalttätig Frauen ihrer Freiheit und ihrer körperlichen Unversehrtheit beraubt.“
Sich wehren? Viel zu praktisch!
Mit Recht machte Cora Stephan darauf aufmerksam, dass eine Frau an der Hotelbar ja schließlich nicht wehrlos ist und schlägt allerlei Gegenwehr vor, vom Lächerlichmachen bis zu einem gezielt eingesetzten Glas Wasser oder Wein und schreibt dann weiter:
„Aber das ist offenbar zu praktisch gedacht. Es ist womöglich gar zu männlich gedacht. Denn viele Frauen wollen Probleme keineswegs lösen. Sie wollen sie behalten, schon um der Welt zu zeigen, wie unendlich verbesserungswürdig sie ist. Mann soll sich ändern. Die Welt soll sich ändern. Nur sie selbst nicht. Sie sind ja Opfer.“ Das ist das Hinterhältige am Opfer-Diskurs: er schließt aus, dass man etwas dagegen tun könnte, ein Opfer zu sein. Denn dann wäre man ja auch den »Opfer-Bonus« los – oder darf man das jetzt wieder nicht sagen, wegen »Opfer-Abo«? Ach was. Man muss es sagen.“
So ist es. In früheren Gesellschaften zahlte es sich aus, stark zu sein und erfolgreich. In unserer Gesellschaft bringt kaum etwas mehr Ertrag, als benachteiligt zu sein, ein Opfer, schwach und hilfsbedürftig. Nicht wegen der FDP, nicht wegen Brüderle, sondern weil hier endlich einmal wieder ein Klischee bestätigt wurde, das zur Moral unserer ideologisierten Gesellschaft gehört wie die Klimareligion, der Pazifismus und der Gesundheitswahn.
War es das wert?
Doch zu unserem neusten Fall im Rahmen der nicht enden wollenden, meines Erachtens „falsch gearteten“ Sexismusdebatte.
Stellen sie sich vor ihrem inneren Auge einen »verwirrten«, alten Professor vor. Sobald Sie dieses Bild vor Augen haben, halten sie es fest und treiben sie es noch ein Stück ins Groteske. Sehen Sie sich den 72-jährigen irgendwie »schützenswerten« englischen Nobelpreisträger Tim Hunt an Einerseits kann man ihn mit Gewissheit in eine Reihe mit Brüderle – und all den anderen jungen wie alten Sabberern des Landes – stellen. Andererseits kann und muss man sich doch am Ende des Tages , während man diesen Mann, dem nicht nur zentimerlang die ergrauten Haare aus der Nase wachsen, sondern der auch sonst ein wenig wie aus der Zeit gefallen erscheint, betrachtet fragen: War es das wert?
Ist diese Hexenjagd auf die Person wirklich noch gerechtfertigt oder sucht sich hier ein weibliches Klientel einfach nur das wehrloseste Opfer aus und prügelt es im Rausch des fanatisierten Gutmenschentums menschlich und beruflich zu Tode? Was war eigentlich passiert und sollte dies einer selbstbewussten Frau nicht eher bloß ein mitleidiges Lächeln auf die schönen Lippen zaubern, als das was wirklich im Fall von Tim Hunt reflexartig losgetreten wurde?
Der Reihe nach. Hunt hatte auf einer Konferenz von Wissenschaftsjournalistinnen in Seoul getrennte Labore für Frauen und Männer vorgeschlagen. Denn, so der Wissenschaftler:
„Drei Dinge passieren, wenn sie im Labor sind: Du verliebst dich in sie, sie verlieben sich in dich und wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu heulen.“ Noch während er im Flugzeug von Seoul nach England war, sei seine Frau Mary Collins, die ebenfalls am Unicersity College London (UCL) als Professorion arbeitet, zur Uni-Leitung gerufen worden. O-Ton der Ehefrau: „Mir wurde mitgeteilt, dass Tim sofort kündigen solle, oder er werde entlassen“, sagte Collins gegenüber dem OBSERVER, bevor sie weiter erklärte, dass ihr Mann zwar ab und zu dumme Sachen sage, aber ansonsten kein Dinosaurier sei und übrigens auch immer brav die Einkäufe erledige, koche und im Garten hantiere. Und dass sie, eine Feministin, ihn niemals geheiratet hätte, wenn er ein Sexist wäre.
Sind wir wirklich soweit gekommen?
Hallo Zusammen! Der alte Mann versuchte einen Spaß zu machen. Einverstanden es war mit Sicherheit nicht der beste Schenkelklopfer aller Zeiten. Doch es gibt mit Gewissheit schlimmeres am Ende des Tages und außerdem war es ja Sigmund Freud, der in seiner noch heute genialen Schrift »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten« darauf verwies, dass mit Hilfe des Witzes ein innerer Widerstand überwunden und eine Hemmung aufgehoben wird, die eine Lustquelle blockierte. Es wird daher psychische Energie erspart, die zur Blockierung einer Lustquelle diente. Für die meisten Witze liegen die gehemmten Lustquellen im Unbewussten. Durch den Witz können sie enthemmt und für den Lustgewinn erschlossen werden.
Falls Sie die psychoanalytischen Ansätze zum Witz interessieren, kann ich Ihnen dieses Büchlein nur empfehlen. Ich für meine Person lass es hiermit erst einmal bewenden. Wir dürfen unsren Humor nicht verlieren und es muss auch mal erlaubt sein nicht political correct zu sein, denn wie ich schon einleitende Jean Paul zitierte ist Humor das umgekehrt Erhabene und wir brauchen ihn wie die Luft zum Atmen. Er erniedrigt das Große, um ihm das Kleine und erhöht das Kleine, um ihm das Große an die Seite zu setzen … . Oder wie der Etymologie-Duden schreibt: „Die seelische Gestimmtheit des Menschen ist nach antiken Anschauungen abhängig von verschiedenen, im Körper wirksamen Säften. In der mittelalterlichen Naturlehre hießen diese humores – Feuchtigkeiten, woraus sich allmählich eine allgemeine Bedeutung, Temperament, im Sinne von Stimmung, Laune entwickelte … .“
Mit Sicherheit ist in diesen Feuchtgebieten der Seele Orientierung enorm wichtig, ebenso ein fester Standpunkt. Humor gelungen oder nicht (wie im Fall Brüderle oder Hunt) kann daher auch immer als ein Gradmesser allgemein gültiger sozialer Normen und Moralvorstellungen verstanden und genutzt werden. Humor ist nämlich ähnlich wie das Ressentiment, mit dem der Witz häufig eng verbunden ist, immer auch einer Orientierung geschuldet, einer Verankerung in Zeiten des Umbruchs und sich verändernder Einstellungen, Normen und Moralvorstellungen.
Wer gegen political correctness verstößt, ist selbst schuld
Tim Hunt räumt heute selbst ein, dass seine Äußerungen falsch gewesen seien. Aber und hier sind wir wieder im Thema: Er habe das nicht ernst gemeint. Es war ein Scherz oder immerhin als ein solcher gedacht. Seine Kolleginnen und Kollegen behaupten über Hunt, dass er Sprücheklopfer sei. Einer, der gern Witze reißt. Auch mal chauvinistische. Aber er sei nicht frauenfeindlich. Vielmehr hätte er junge Wissenschaftler beiden Geschlechts gleichermaßen gefördert.
Okay, eigentlich hat oder sollte immerhin jeder mittlerweile, richtig oder falsch mal dahin gestellt, mitbekommen haben, dass man keine politisch unkorrekten Witze mehr machen darf. Wer dagegen verstößt, ist nun mal selbst schuld. Soll der alte Mann doch öffentlich kritisiert werden für Äußerungen, die weder lustig sind noch zeitgemäß.
Ich bin selbst noch in einer Zeit aufgewachsen, in der das Geschlechterverhältnis deutlich anders geprägt war, obwohl ich mit meinem Baujahr (1967) ein klassisches Kind der Studentenrevolte bin, die für die Gleichberechtigung dann wahre Quantensprünge auslöste. Das Geschlechterverhältnis hat sich glücklicherweise zurückblickend mehr als deutlich verändert, auch wenn vieles noch auf dem Weg ist und in den Köpfen vieler ewig Gestriger noch immer die Hausfrau, Mutter und Hure herumspuckt, anstatt gleichwertige Partnerschaften.
Andere Generationen, andere Erfahrungen, andere Sichtweisen
Man muss sie, wie so vieles im Leben, nicht gut heißen und wenn sie tatsächlich zu Diskriminierung und Ausgrenzung führen, auch gegebenenfalls mit Gesetzen bekämpfen. Dennoch muss man in einer freien Gesellschaft sie aber auch als andere Meinung akzeptieren. Wer das nicht will und mit Repressalien und der Vernichtung des Lebenswerks und der Person an sich nicht nur droht, sondern Ernst macht, ist am Ende des Tages mindestens genauso intolerant wie ein alter oder junger chauvinistischer Sprücheklopfer.
Sexismus: gleiches Unrecht für alle
Und wer sich als feministisch bezeichnet und für Gleichberechtigung kämpft, muss auch in Kauf nehmen, dass gleiches Recht für alle im Zweifel auch heißt: gleiches Unrecht für alle. Wenn also Tim Hunt wegen einer flapsigen Äußerung zurücktreten muss, müssten in einer gerechten Welt heute und morgen und übermorgen auch viele andere Männer und Frauen ihre Posten räumen – wegen dummer Sprüche.
Wir hätten plötzlich nicht extrem viele Arbeitslose mehr, sondern auch auch eine humorlose Gesellschaft, in der vor Angst vor Verfolgung und Repressalien das Männliche und Weibliche per se einer totalitären Geschlechtsgleichschaltung weichen müsste. Ich denke, dass wir am Ende des Tages bei aller notwendigen Gleichberechtigung der Geschlechter, den feinen und so liebreizenden Unterschied des »same same but different«, niemals aus dem Blick verlieren sollten!
War das jetzt schon sexistisch? Sei’s drum. Machen Sie sich doch selbst hierzu Ihre ganz persönlichen Gedanken 🙂
—
Ihr
—
Ulrich B Wagner
—
Über Ulrich B Wagner:
Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.
Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.
Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).