Deutsch. Ein Versuch über die Heimatlosigkeit

Deutsch sein! Wie geht das eigentlich? Im Ausland scheint man uns allen voran für anständig und ordnungsliebend zu halten. Ein Bild, das – nicht zuletzt aufgrund der Skandale rund um die Deutsche Bank – seit geraumer Zeit bröckelt. Auch bei unserem Kolumnisten Ulrich B Wagner. Für sein heutiges „Wort zum Freitag“ begab er sich auf die Suche nach dem Ursprung des Mythos vom zuverlässigen Deutschen – und stellte diesen auf die Probe.

#Made in Germany

Manche Dinge dauern eben doch ein wenig länger als gedacht. Sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. So oder so und wenn auch nur, rückblickend betrachtet, als selbsterfüllende Prophezeiung. 129 Jahre später scheint also die Idee der Briten auf Umwegen nunmehr doch noch aufzugehen.

Es mag seltsam klingen, dass eine Bank nicht nur einen starken Heimatmarkt braucht, sondern auch eine Heimat, aber diese Notwendigkeit trägt die eutsche Bank ja eigentlich schon in ihrem Namen, und er leuchtete hinaus in die Welt: in Amerika, in Asien leben die Klischees und Wunschträume von den anständigen, ordnungsliebenden Deutschen fort, von den fleißigen Meistern, die mustergültige Arbeit made in Germany abliefern, schrieb DER SPIEGEL in seiner letzten Ausgabe.

As time goes by

Alles kommt halt irgendwann mal wieder, die shapes and colours vielleicht nicht. Der Ganze andere Rest aber vielleicht doch oder wie Tacitus es vor zwei Jahrtausenden mal auf den Punkt brachte: „Erfolge nehmen alle in Anspruch, Misserfolge werden einem einzigen zugeschrieben.“

Ramschmesser aus Deutschland waren der Auslöser des „Made in Germany“ Schlicht und ergreifend Konkurrenzsorgen der Messerhersteller in Sheffield. Großbritannien und seine Kolonien wurden damals regelrecht von Schneidewerkzeugen aus Deutschland überschwemmt, die den englischen Messern täuschend nahe kamen. Doch die Originale waren von hoher Qualität, in der Regel handgearbeitet und aus Gussstahl. Die Ramschware aus Deutschland war Massenware aus ungehärtetem Gusseisen. Manche zierte sogar dreist der Schriftzug „Sheffield made“. Wie bei so vielem im Leben zeigte sich auch hier die mangelhafte Qualität der Kopien erst beim Gebrauch.

Deutsch? Germanen: Alemannen, Franken, Bayern, Thüringer und Sachsen …

Ein bunter Haufen Rabauken, der irgendwann anfing sich auf ein Gemeinsames zu besinnen. Ursprünglich … ? Eingrenzungen, Abgrenzungen, Ausgrenzungen. Ursprünglich ging es bei dem Wort deutsch ja um die nichtlateinische Volkssprache, mit Gewissheit jedoch nicht um eine ethnische Einheit. Was ist das für ein Wort und wo kommt es her?

Die Wortfamilie deutsch beherbergt noch ähnliche Wörter, ob  deutlich, deuten, Bedeutung, bedeutend, verdeutlichen oder so. Wobei deut ein altes, sehr wichtiges, germanisches Wort darstellt, und im Grunde das Volk  bezeichnet. Der Begriff deutsch entstand dann als Abkürzung des Eigenschaftswortes deut-isch und bezeichnet das, was zum Volk gehört. Würde man dahingehend etwas deuten, so würde man es dem Volk verständlich machen oder anders ausgedrückt: Alles, was Bedeutung hat, kommt beim Volk gut an. Sīc erat scriptum! Oder auf deutsch gesagt: So stand es geschrieben!

Es ist viel passiert seitdem

As time goes by. „Ein ehrlicher Tod, ist besser als ein schändliches Leben“, schrieb der alte Lateiner an anderer Stelle … . 7.800 Rechtsstreitigkeiten, 5.900.000.000,00 Euro Rückstellungen. Eine Bank, die Deutsche Bank, auf ihrem letzten Weg. Von Scheideweg zu sprechen wäre grotesk 22 Jahre später. 1994 fasste der damalige Vorstandsprecher Hilmar Kopper mit einer Handvoll Kollegen in der Dependance in Madrid den Entschluss die Londoner City und die Wall Street zu erobern. Um den Schatten eines Lächelns aufrechtzuerhalten, mag man nur noch süffisant anmerken, dass einem dies damals schon etwas spanisch vorkam.

Es ist viel passiert seitdem. Nicht nur in der Deutschen Bank, in Deutschland, in Europa, in der gesamten Welt. Gibt es das Deutsche überhaupt (noch)? Oder gab es das sowieso noch nie? War es, wie ich es etymologisch kurz angerissen habe, sowieso nur eine Krücke, ein Hut, in dem und unter dem man etwas zusammenbrachte, das im Grunde unterschiedlich, vielfältig und ausdifferenziert war – und im Großen gesehen auch immer noch ist? Was hält uns zusammen, was treibt uns voran, was gibt uns Halt?

Die Welt hat sich verändert. Die Herren in den Glastürmen versuchten die Veränderung aufzugreifen und vergriffen sich. Sie öffneten, ohne zu begrenzen. Grenzen sind dafür da, um sie zu überwinden. Mit Sicherheit. An die Grenzen gehen, sie austesten, sie überwinden.

Freiheit ist ein großer Begriff

Doch auch die Freiheit hat ihre Grenze: „Die Freiheit des Einen, endet dort wo die Freiheit des Anderen anfängt“, wie ein Weltbürger aus Königsberg es auf den Punkt brachte. Für den Mann, der nie weit über Königsberg hinausgelangte, war die Weltgesellschaft längst Realität. Die eine Welt, das eine Menschengeschlecht und nicht nur Global Markets.

In seinem Traktat »Zum ewigen Frieden« schrieb er: „Es sei ,unter den Völkern der Erde’ so weit gekommen, dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird.“ Ein Wahnsinnssatz, niedergeschrieben im Jahr 1795, so Thomas Assheuer in DIE ZEIT 49|2015.

Die Deutsche Bank, wie wir sie kannten, ist Geschichte. Wie so vieles. Doch vielleicht ist es uns ja vergönnt aus dieser Krise zu lernen und das zu tun, was die Herren in den Glastürmen zu keinem Zeitpunkt taten: Sich neu zu verorten. Bilanz zu ziehen, ohne sich selbst zu belügen und zu entscheiden, was es wert ist in Zukunft unsere Identität, unsere Heimat* zu sein: Das Deutsche? Die Europäische Gemeinschaft? Oder ist das Ganze nicht nur am Ende des Tages mehr als die Summe seiner Teile? Wer weiß?

Leben ist Wachstum. Heimat auch

Heimat spricht immer nicht nur über das woher, sondern insbesondere auch über das wohin des Menschen und seine Zeit- und Lebenskurven in den Zwischenräumen. Leben ist Wachstum. Heimat auch. Ein bestimmendes Merkmal ist daher immer auch das Sinnstiftende und Sinngebende. Einer Tatsache, der man sich insbesondere in Krisenzeiten und in großen Veränderungsprozessen immer auch bewusst werden sollte.

Ihr Ulrich B Wagner

*Passend dazu: Heimat: über ein Gefühl auf der Flucht

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