Die Kinder des Untergangs … . Oder: das Zeitalter der Horrorclowns

Was führen die Clowns im Schilde? Das fragen sich aufgrund der aktuellen Vorkommnisse landauf, landab die Menschen. Das geht auch unserem Kolumnisten so. Im aktuellen Beitrag von „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ zeigt uns Ulrich B Wagner, warum gerade in Zeiten, in denen oft von einer Krise gesprochen wird, wir sehr viel von den zurzeit stark im Fokus stehenden Horrorclowns lernen können.

Wo ist die Grenze, wie weit wirst du gehn
Verschweige die Wahrheit, du willst sie nicht sehen
Richtig ist nur, was du erzählst
Benutze einzig, was dir gefällt

Fehlfarben, Gott sei Dank nicht in England

Einverstanden, „Alter“ war noch nie eine wahre psychologische Determinante, um der menschlichen Psyche Herr oder Frau zu werden, doch wir taten immerhin bisher so. Doch andersherum gefragt: Wann ist man alt? Wenn alles und nichts eine Erinnerung wachruft? Meine Mutter wurde dieses Jahr 82. Ich bin also noch Kind. Wie viele andere meiner Zeitgenossen auch. Alle Welt redet von immer älter werdenden Menschen.

Doch was ist mit uns Kindern?
Werden wir als Kinder unsere Enkelkinder in den Händen halten?
Atomisiert sich wirklich alles und Nichts?
Wo ist die Grenze?
Wie weit werden wir gehen oder sind bereits gegangen?

Aus Spaß wird Ernst.

Aus Fiktion wird still und leise Wirklichkeit. Was aber tun, wenn alle Grenzen verschwimmen und sich aufzulösen beginnen? Wenn alles und nichts, wenn jede Bewegung zu einem stehenden Sturmlauf (Franz Kafkas Tagebucheintrag am 20. November 1911) verkommt, einer Endlosschleife gleichenden dilemmatischen Bewegung ohne Ursprung und ohne erreichbares Ziel?

In Kafkas Erzählungen fristen die Protagonisten eine labyrinthische Existenz, in der es weder Vergangenheit noch Zukunft gibt, sondern nur das quälende Jetzt. Eine Entgrenzung scheint unmöglich. Alles verschwimmt, alles schwimmt und die gepriesene Freiheit des Individuums in Zeiten der Liberalisierung und Individualisierung verkommt zum Zwang: zur Getriebenheit im Hier und Jetzt.

Stephen Kings Clown »Pennywise« marodiert, atomisiert und vollständig enthemmt, durch die Metropolen weltweit und terrorisiert Groß und Klein. Doch unsere Leibhaftigen sind nicht der städtischen Kanalisation der fiktiven, amerikanischen Gemeinde »Derry« entsprungen, sondern Fleisch und Blut unseres aller kollektivem Unbewussten.

Er ist da.
Mitten unter uns.
In uns und um uns herum.
Er ist mehr als ein Spiegelbild kollektiver Angst.

Unser Gesicht als Bildschirm unseres Inneren

Und er ist mehr als fleischgewordene Coulrophobie – so nennt man die Angst vor Clowns in der Fachsprache. Sie scheint zwar auf den ersten Blick eine sehr irrationale Angst zu sein, doch der Anthropologe Claude Levi-Strauss hat bereits Ende der 70er Jahre im Rahmen seiner Studie über Stammeskulturen eine Antwort gefunden. In dem hieraus hervorgegangenen Buch „Der Weg der Masken“ hat er sehr klar herausgearbeitet, dass unser Gesicht uns selbst in der Gesellschaft präsentiert. Es ist Orientierung, Kommunikationsrahmen und Bildschirm unseres Inneren. Ist es verdeckt, besteht die Annahme, dass diese Person keine Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen nimmt und daher auch in ihrem Tun und Lassen von bestehenden Normen abweicht.

Es ist daher diese Undurchschaubarkeit, welche Person per se in die Sphäre der Unheimlichkeit rückt. Einer Unheimlichkeit, die nicht mehr bloß an der Grenze zum Verbrechen verortet ist, sondern in Folge der Grenzenlosigkeit bereits mit Haut und Haaren Teil des Verbrechens geworden ist. Es war der zeitgenössische, italienische Philosoph Franco Bifo Beradi, der in seinem Buch „Helden – Über Massenmord und Suizid“ darauf verwies, dass die Worte „Kriminalität“ und „Krise“ die selbe Etymologie teilen. Sie beziehen sich beide auf das griechische Wort »krisis«, also „Urteil“, „Auswahl“, „Trennung“.

Wir sollten den Horrorclowns gegenüber dankbar sein

Doch sind wir uns wirklich darüber im klaren, was eine echte Krise ausmacht? „Eine Krise stellt im Regelfall eine Situation dar, in der die bisherigen, traditionellen Normen ihren Zugriff auf die Realität verlieren, während neue Normen erst noch geschaffen werden müssen. Eine Krise stellt deshalb eine Situation dar, in der das Naturgesetz ausgehebelt wurde und das Verbrechen sich ausbreitet“ (Beradi, B.: „Helden – …“, 2016).

Das Unbehagen, die instinktive Grundangst vor dem Verlust der Kontrolle, ist nunmehr mit aller Wucht, nicht mehr bloß ein Fühlen, sondern eine unverrückbare Tatsache geworden. Ein Veränderungsdruck, der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, ob privat oder geschäftlich, durchzieht und aus Angst vor Brüchen in einem explosiven Brei verrührt wird.

Bei aller Perversion sollten wir daher den Horrorclowns in unseren Städten eigentlich dankbar dafür sein, dass sie uns den Spiegel unserer kollektiven Abgründe so deutlich vor die abgestumpfte kindliche Nase halten.

Ihr Ulrich B Wagner

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?