Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung untersucht Binnen- und Außenhandel der EU
Können sich die Länder der Europäischen Union (EU) durch verstärkte Exporte in Drittstaaten aus der Krise wirtschaften? Das untersucht eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Die Forscher sind skeptisch. Zwar hat Chinas Konjunkturprogramm während der Weltwirtschaftskrise die Exporte der EU maßgeblich gestützt. In der nächsten Zeit liegt es aber an europäischen Nicht-Krisenstaaten wie Deutschland, ob sich die Wirtschaft in der EU wieder erholt, so das IMK. Von dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA erwarten die Wissenschaftler keine bedeutsamen Wachstumsimpulse, schon gar nicht kurzfristig.
Viele europäische Volkswirtschaften befinden sich in einer zähen Rezession. Wachstumsimpulse versprechen sie sich von dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Ob ihre Hoffnungen gerechtfertigt sind, haben die IMK-Forscher Sabine Stephan und Jonas Löbbing überprüft. Dazu haben sie die Entwicklung des Außenhandels der EU und des Welthandels insgesamt eingehend analysiert. Hierfür werteten sie Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat und der World Trade Organization aus.
Ihre Ergebnisse: Die EU hat seit 1999 ihre Handelsverflechtungen mit Drittländern – den so genannten Extrahandel – zwar intensiviert. Dennoch entfallen immer noch etwa 60 Prozent auf die Geschäfte untereinander, den Intrahandel. Und im Extrahandel haben die USA in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren, Russland und China hingegen an Bedeutung gewonnen. Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA werde deshalb eher bestehende Handelsbeziehungen stärken denn in großem Umfang neue Vernetzungen schaffen, so die Wissenschaftler. „Vor allem aber werden sich positive Effekte erst längerfristig zeigen, kurzfristige gesamtwirtschaftliche Wachstumsimpulse sind hingegen von diesem Abkommen nicht zu erwarten.“
China und Russland gewinnen, die USA verlieren an Bedeutung
Insgesamt ist der Welthandel in den Jahren 2001 bis 2012 preisbereinigt um 78 Prozent gewachsen, pro Jahr um durchschnittlich 5,4 Prozent. Ihren Weltmarktanteil steigern konnten allerdings nur die Länder Süd- und Ostasiens – von gut einem Drittel auf mehr als die Hälfte. Der Weltmarktanteil Chinas allein beträgt inzwischen rund 15 Prozent. Sowohl die EU als auch die USA verloren in diesem Zeitraum Anteile am Weltmarkt.
Inzwischen stammen fast 40 Prozent der Warenimporte der EU aus Drittländern. Wichtigste Handelspartner 2012 waren China, Russland, die USA, die Schweiz und Norwegen. Auf sie entfiel mehr als die Hälfte aller Einfuhren. Russland ist gegenwärtig der wichtigste Energielieferant der EU. Allerdings sind die Energiepreise stark gestiegen, was den Importwert beträchtlich erhöht. Bei den USA macht sich die Wertminderung des US-Dollars im Vergleich zum Euro in einem geringeren Importwert (gemessen in Euro) bemerkbar. Insgesamt hat sich auf der Einfuhrseite der Anteil der Vereinigten Staaten am Extrahandel der EU seit 1999 von 22,3 Prozent auf 11,5 Prozent halbiert.
Die Ausfuhren der EU entfallen nun zu 37,4 Prozent auf den Extrahandel. Auch hier waren die wichtigsten Partnerländer im vergangenen Jahr die USA, China, die Schweiz und Russland. An fünfter Stelle folgt die Türkei. Zusammengenommen entfielen 45,5 Prozent aller Exporte der EU in Drittländer auf diese Handelspartner. Der Anteil der USA sank zwischen 1999 und 2012 um rund zehn Prozentpunkte auf jetzt 17,3 Prozent. Chinas Anteil verdreifachte sich nahezu – auf 8,5 Prozent. Auch Russland hat als Absatzmarkt an Bedeutung gewonnen.
„Die USA und Europa pflegen traditionell sehr enge Handelsbeziehungen“, fassen Stephan und Löbbing zusammen. Der bilaterale Handel ist in erster Linie intra-industrieller Natur. Das heißt: Es werden Güter desselben Wirtschaftszweigs ein- und ausgeführt, mit einem starken Schwerpunkt bei den Investitionsgütern. Seit den 1990er-Jahren haben sich eine Vielzahl asiatischer Länder und ehemaliger Ostblock-Staaten zunehmend in den Welthandel integriert. Dadurch hat das Gewicht der traditionellen Handelspartner abgenommen, insbesondere das der USA. So sind beispielsweise amerikanische Anbieter von elektronischen Konsumgütern von Produzenten aus Asien verdrängt worden.
Darüber hinaus spricht noch ein weiterer Faktor gegen die Erwartung, dass ein Freihandelsabkommen wesentliche Wachstumsimpulse setzen würde: Die Zölle auf Industriegüter, die vornehmlich zwischen der EU und den USA gehandelt werden, sind bereits jetzt sehr niedrig. Im Jahr 2007 lag der Durchschnittszoll in beiden Wirtschaftsräumen bei lediglich 2,8 Prozent. Eine weitere Senkung dürfte keine nennenswerten Effekte haben, vermutet IMK-Außenhandelsexpertin Dr. Sabine Stephan.
Flächendeckender Sparkurs schwächt innereuropäischen Handel
Im Krisenjahr 2009 brach der Warenexport der EU insgesamt um fast ein Fünftel ein, lediglich die Lieferungen nach China nahmen um 5,2 Prozent zu. „Das lag maßgeblich daran, dass die chinesische Regierung ein gigantisches Konjunkturprogramm auflegte, das die chinesische Volkswirtschaft stabilisierte und entscheidend dazu beitrug, dass China nicht als Nachfrager auf dem Weltmarkt ausfiel“, schreiben die Forscher. Aktuell liegen die Exporte der EU ins Reich der Mitte um mehr als 80 Prozent über ihrem Vorkrisenniveau. Die Ausfuhren in die USA und nach Russland hingegen erholten sich nur langsam.
Auch die Wareneinfuhren der EU gingen 2009 um ein Fünftel zurück. In den folgenden Jahren zog die Importnachfrage nur zögerlich wieder an; das gilt besonders für den Handel untereinander. „Dass sich der Intrahandel nicht erholt, liegt maßgeblich daran, dass die Euroraumkrise nach wie vor nicht gelöst ist“, so die Analyse der Wissenschaftler. Die Politik des übermäßigen Sparens belaste Europas Binnennachfrage stark. Seit dem dritten Quartal 2011 schrumpft sie stetig, zeigen die Daten von Eurostat. Wer die Konjunktur in Europa kurzfristig stimulieren wolle, der müsse den EU-Intrahandel beleben, empfehlen Stephan und Löbbing. Die zeitgleiche und flächendeckende Sparpolitik in vielen europäischen Ländern habe Europa in die Rezession getrieben. „Jetzt müssen die Nicht-Krisenstaaten, die noch Handlungsspielräume haben, – allen voran Deutschland – einen aktiven Beitrag zur konjunkturellen Belebung leisten.“
Download:
Sabine Stephan, Jonas Löbbing: „Außenhandel der EU27 – Eine regionale und sektorale Analyse“ (pdf) / IMK Report 83, Juni 2013.
(IMK 2013)
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Weiterführende Informationen:
Die Diskrepanzen innerhalb der „westlichen Wertegemeinschaft“ sind jedoch durchaus gewaltig. So seien laut Ines Pohl, Chefredakteurin der TAZ, das Gefangenenlager Guantanamo, der US-Drohnenkrieg, die Todesstrafe und auch der US-Abhörwahn nicht mit europäischem Rechtsverständnis vereinbar (PHOENIX Runde vom Dienstag, 18.06.2013). Eine andere Dimension spricht der Finanzmarktexperte Dirk Müller („Mr. DAX“) an. Eine Freihandelszone würde auch Handelsbarrieren wie den Verbraucherschutz abbauen. So könnten gentechnisch veränderte Lebensmittel und chlorierte Hünchen durch die Hintertür auf europäischen Tellern landen.
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