Wirtschaftspolitik: Kurswechsel von Austerität zu Wachstum überfällig

Substanzielle Fortschritte bei der Bewältigung der Krise im Euroraum sind nur möglich, wenn die Wirtschaftspolitik der EU-Staaten 2013 von einem wachstumshemmenden auf einen wachstumsfördernden Kurs umsteuert, so das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Voraussetzung dafür ist ein Ende der überharten Sparprogramme in den Euro-Krisenländern, weil diese dort die staatlichen Schuldenstände mittlerweile sogar eher erhöhen als reduzieren. Diesen Schluss legen aktuelle ökonomische Studien und neue Berechnungen des IMK nahe.

Herausforderungen der Wirtschaftspolitik 2013 – Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung

Parallel dazu empfehlen die Forscher in ihrem wirtschaftspolitischen Jahresausblick, dass Staaten mit entsprechenden Spielräumen durch fiskal- und lohnpolitische Impulse die Konjunktur unterstützen. Hier ist aus Sicht des IMK insbesondere die deutsche Politik gefragt. Durch eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen kann sie zwei Ziele erreichen:

Erstens käme die Modernisierung von Infrastruktur und Bildungssystem in Deutschland voran. Zweitens würde die höhere Binnennachfrage den Handelspartnern im Euroraum größere Exportmöglichkeiten eröffnen. Zur Stabilisierung der Binnennachfrage durch eine stärkere, produktivitätsorientierte Lohnentwicklung würden auch Reformen am Arbeitsmarkt beitragen, etwa ein allgemeiner Mindestlohn und einfachere Verfahren zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen. Der Jahresausblick erscheint heute als IMK Report Nr. 79 und wird auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.*

Das IMK hat seine Prognose für die deutsche Wirtschaftsentwicklung in seiner aktuellen Prognose zwar etwas hinaufgesetzt – um 0,4 Prozentpunkte auf 0,8 Prozent Wachstum im Jahresdurchschnitt 2013 (weitere Kerndaten der Prognose im Anhang). Dazu trägt neben dem privaten Konsum im Inland ein relativ stabiler Export deutscher Waren nach Osteuropa, Asien und Amerika wesentlich bei. Dieser kann aber die gravierende Nachfrageschwäche im Euroraum nicht auf Dauer ausgleichen. „Die deutsche Wirtschaft wird sich in diesem Jahr über Wasser halten können. Doch die Rezession im Euroraum hängt ihr wie ein Gewicht an den Füßen. Schon allein deshalb ist es in unserem Interesse, dass unsere Nachbarn möglichst schnell wieder auf einen Wachstumspfad zurückfinden“, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des IMK. „Die europäischen Regierungen haben jetzt zwei Jahre lang versucht, sich aus der Krise herauszusparen. Das hat nicht funktioniert, im Gegenteil: Immer mehr Länder rutschen in eine Rezession, und dabei wachsen ihre Staatsschulden weiter“. Nach der IMK-Prognose wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Durchschnitt der Euroländer in diesem Jahr um 0,5 Prozent schrumpfen – nach einem Rückgang um 0,4 Prozent 2012. „Eine Abkehr vom Austeritätskurs ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass 2013 zum Jahr einer Trendwende wird“, sagt Horn.

Euro-Länder planen weitere Einschnitte

Zu Beginn des neuen Jahres registrieren die Forscher dazu widersprüchliche Signale. Einerseits habe die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), gegebenenfalls auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen zu intervenieren, Misstrauen und Spekulation auf den Finanzmärkten beruhigt und so die Zinsforderungen an Krisenstaaten reduziert. Der Perspektivwechsel der Bundesregierung, die dem stärkeren Engagement der EZB nach längerem Widerstand zustimmte, sei richtig gewesen, analysiert das IMK. Die Voraussetzungen für eine Korrektur des Austeritätskurses seien so besser als noch vor einigen Monaten.

Andererseits planten jedoch „von den 11 größten Euroraum-Ländern alle mit Ausnahme Deutschlands in diesem Jahr weitere – teilweise drastische – Einschnitte in ihren öffentlichen Haushalten“, warnen die Wissenschaftler. Daraus ergebe sich ein deutlich negativer fiskalischer Impuls von -1,4 Prozent des BIPs im Euroraum, nach -1,7 Prozent 2012. Dies verfestigt die Rezession im Euroraum.

Neue Studien: Sparkurs schädigt Konjunktur stärker als vermutet

Das IMK verweist auf neue Untersuchungen, unter anderem des Internationalen Währungsfonds (IWF), die zeigen, dass striktes Sparen in einer Abschwungsituation die Wirtschaft weitaus stärker bremst als bislang angenommen und in den Stabilisierungsprogrammen unterstellt. Bislang gingen viele Wissenschaftler und auch die EU Kommission davon aus, dass jeder Euro, den der Staat durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen dem Wirtschaftskreislauf entzieht, das BIP um deutlich weniger als einen Euro senkt. Dagegen veranschlagen die neuen Studien diesen so genannten Multiplikator mit eins zu eins oder höher. Bei Ausgabenkürzungen in einer Rezession sind danach sogar Multiplikatoren über zwei keine Seltenheit. Das heißt: Jeder Euro, den der Staat einspart, senkt das BIP um zwei Euro. Die schlechtere Wirtschaftsentwicklung kostet wiederum öffentliches Geld: Steuereinnahmen sinken, die Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung und Fürsorge wachsen.

Die Europäische Kommission verteidige zwar die harte Sparpolitik, komme aber in ihrem eigenen Report on Public Finances ebenfalls zum Ergebnis, dass allzu strenge Sparauflagen kontraproduktiv wirken können, betonen die Experten des IMK: „Sie hat kritische Multiplikatoren berechnet, deren Überschreiten bei Konsolidierungsmaßnahmen zu einem steigenden Schuldenstand führt.“ Demnach dürften ein Drittel aller Euroraum-Länder mit steigenden Schuldenständen konfrontiert werden, wenn sie aktuell versuchten, ihre öffentlichen Finanzen über restriktive Maßnahmen zu konsolidieren.

Das IMK hat in eigenen Berechnungen für Deutschland sowie für vier Krisenstaaten ebenfalls kritische Multiplikatoren kalkuliert. Ergebnis: In allen Ländern würden Konsolidierungsmaßnahmen nur dann zu einer Senkung des Schuldenstandes führen, wenn der Multiplikator bei maximal 0,9 läge. In Griechenland (0,4), Italien und Portugal (je 0,6) sind die Grenzen, ab denen Sparen die Schuldenquote in die Höhe treibt, besonders niedrig. Schlussfolgerung des IMK: „Aktuell dürfte der Schuldenstand also in allen Ländern infolge von Konsolidierungsmaßnahmen weiter steigen. Dass die harten Einschnitte in den Krisenländern nicht von Erfolg gekrönt sind, liegt nicht etwa an einer laschen Umsetzung, sondern ist die makroökonomisch zwingende Folge eines sich selbst konterkarierenden Austeritätskurses.“

Krisenländer: Konsolidierung strecken und Vermögende beteiligen

Um Wachstum und Beschäftigung in Europa nicht noch weiter zu beeinträchtigen, empfehlen die Wissenschaftler, die Sparmaßnahmen abzumildern und zeitlich zu strecken. Dass eine derartige Politik letztlich erfolgreicher sei, zeigten auch die Simulationsrechnungen, die ein Konsortium aus IMK, OFCE (Paris) und ECLM (Kopenhagen) durchgeführt hat. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine gestreckte Konsolidierungsstrategie, die vereinbar mit den rechtlichen Bestimmungen wäre, durch stärkeres Wachstum die Schuldenstände in den Krisenländern in den kommenden 20 Jahren stärker zurückführen könnte als die bisherige Sparpolitik. Auch Untersuchungen des IWF bestätigten, „dass eine graduelle Konsolidierungsstrategie insbesondere bei einer großen negativen Produktionslücke einem Sparkurs im Hauruck-Verfahren deutlich überlegen ist“, schreiben die Forscher. Zudem sollten die Krisenländer ihre Konsolidierung weniger auf besonders konjunkturschädliche Ausgabenkürzungen stützen, sondern stärker auf die Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen. Schließlich lägen die Staatseinnahmequoten in allen Krisenländern außer Italien deutlich unter dem Durchschnitt des Euroraums.

Deutschland: Investitionen und Arbeitsmarktreformen

In Deutschland bewege sich die Fiskalpolitik in diesem Jahr in die richtige Richtung – allerdings nicht mit den besten Instrumenten und auch nicht weit genug, analysiert das IMK. Die Forscher begrüßen, „dass die Finanzpolitik hierzulande nach zwei Jahren einer leichten Restriktion nun wieder leicht expansiv ausgerichtet ist.“ Aus europäischer Sicht solle die Finanzpolitik jedoch noch spürbar stärkere Impulse geben, um die Binnennachfrage zu stärken. Dazu sollten laut IMK die öffentlichen Investitionen ausgeweitet werden, die seit rund 10 Jahren netto negativ sind. Um den Restriktionen der Schuldenbremse zu genügen, könnten zusätzliche Investitionen durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer sowie höhere Steuern auf große Vermögen und Erbschaften finanziert werden.

Darüber hinaus plädieren die Forscher für Reformen am Arbeitsmarkt. Nachdem sich die Beschäftigungssituation in Deutschland in den vergangenen Jahren merklich verbessert habe, solle sich das Augenmerk nun auf eine Stabilisierung der Lohnentwicklung richten. Um makroökonomisch positiv zu wirken, halten die Forscher stärkere Lohnsteigerungen für sinnvoll, die gesamtwirtschaftlich den Verteilungsspielraum aus längerfristigem Produktivitätszuwachs plus Zielinflationsrate der EZB ausschöpfen. Das sind aktuell rund 3,5 Prozent pro Jahr.

Eine wichtige Voraussetzung dafür seien „weit reichende Berichtigungen in den institutionellen Rahmenbedingungen des deutschen Arbeitsmarktes“, die Fehlentwicklungen durch zu weitgehende Deregulierungen korrigierten, so das IMK. Dazu zählen die Forscher ein vereinfachtes Verfahren zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, mit dem sich – wie die Erfahrungen in vielen europäischen Ländern zeigen – eine Erosion der Tarifbindung verhindern und das Tarifsystem stabilisieren lässt. Ergänzend empfehlen sie einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und ein Ende der Subventionierung von Minijobs.

*Gustav Horn, Sebastian Gechert, Alexander Herzog-Stein, Katja Rietzler, Sabine Stephan, Silke Tober, Andrew Watt: Inmitten der Krise des Euroraums: Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik 2013. IMK Report Nr. 79, Januar 2013.

(IMK 2013)

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