Liebesgrüße vom Kühlschrank. Oder: Alles wird besser, doch nie wieder gut…

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Wir alle lieben das Internet. Und wir lieben, was sich daraus entwickelt: Ein Internet der Dinge, welches den Menschen aus der Marktwirtschaft befreit und ihn in den kollaborativen Commons gemeinsam mit anderen immateriellen Interessen nachgehen lässt. So jedenfalls versprechen es uns die Zukunftsforscher. AGITANO-Kolumnist Ulrich B Wagner warnt in seinem heutigen Beitrag aus der Reihe „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ vor diesem angeblichen Heilsversprechen, denn dieses ist mit einem Deal verbunden, auf den wir nicht so leichtfertig eingehen sollten.

„Unveränderliche Gesetze der menschlichen Natur

  • Dummheit
  • Egoismus
  • Geilheit

Das sind die Dinge, die sich niemals ändern werden, egal was sich sonst alles verändert. Menschen ändern nie ihre grundlegende Natur. Sie sammeln höchstens noch mehr Blödsinniges an, das es ihnen erlaubt, ihre Dummheit, ihren Egoismus und ihre Geilheit auszuleben.

So betrachtet ist es ein Kinderspiel, die Zukunft vorherzusagen. “

Scott Adams, Cartoonist und Schöpfer von Dilbert

Opium fürs Volk

Herzlich willkommen in der schönen neuen Welt des „Internets der Dinge“, einem Begriff der nunmehr seit längerem durch unsere Lebenswirklichkeit geistert und den Start eines neuen Internets markiert. Einen vollkommen digitalisierten Alltag mit dem uns nicht nur die Technik- und Computerfreaks aus dem Valley, sondern Technologen, Investmentbanker, Forschungsinstitute und insbesondere die Hightech-Unternehmen weltweit den Mund wässrig machen wollen und zudem mit unserer schier grenzlosen Gier nach noch mehr Bequemlichkeit vermutlich mehr als schlanke 14 Billionen US Dollar so nebenbei einkassieren dürften.

Seit Menschengedenken wird uns immer wieder das Paradies auf Erden versprochen. Über barfuß über Seen laufende Heilsbringer sollte aber an dieser Stelle ganz geschwiegen werden, denn sie erscheinen angesichts der anonymen Opium fürs Volk Cracks wie eine naive, treuherzige Spezies einer aussterbenden, sentimentalen Rasse. Nehmen wir nur den Schöpfer des Ausspruchs Religion ist das „Opium fürs Volk“, unseren großen Denker und Revolutionär des Intellekts, Karl Marx, der bereits 1845 in seinem Werk Die deutsche Ideologie vorherzusehen glaubte, dass es ihm die kommunistische Gesellschaft (Achtung aufgepasst!) ermöglichen würde, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren. Einverstanden, jeder von uns wird andere Vorlieben entwickeln und ausleben angesichts seiner wohl verdienten und hart umkämpften Freiheiten. Schön hört es sich ja erst einmal an. Aber dann.

Das mit der Zukunft, das ist so ein Ding

Oh, là, là, die liebe Zukunft! Bitte entschuldigen Sie dieses saloppe „Oh, là, là“ in diesem ernstgemeinten Kontext. Und dies nicht nur, um unseren vollbärtigen Übervater aus dem schönen und andächtigen deutschen Städtchen Trier an dieser Stelle nicht sofort und komplett gegen die Wand zu schubsen. Mit der Zukunft ist es nämlich wirklich so ein Ding, wie jeder von uns aus eigenen seherischen Fehlleistungen wohl schmerzlich zu wissen scheint, auch ohne dass er so en passant mal die deutsche Redensart „erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“ aufgeschnappt hat. Und im Nachhineinein ist man sowieso immer am schlauesten.

Manche Dinge dagegen scheinen bis in alle Zukunft fortzudauern, und ihr Auftreten, als auch die Erkenntnis davon, scheint auf den ersten Blick so banal zu erscheinen, wie ein Schirm, der sich bei ausstehendem Regen signalrot einfärbt. Nehmen wir dahingehend nur einmal mein Eingangszitat von Scott Adams. Oder Albert Einsteins richtungsweisende Worte, mit denen er Jahre im voraus wohl oder übel ins gleiche Horn blies, als er sagte: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Oder nehmen sie Mahatma Gandhi, der einmal ausrief: „Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“

Auf den ersten Blick unwichtig oder überflüssig

Aber!!! Aber ja, so ein Schirmchen, nur um es zum warm werden für mich bei unserem kleinen Helfer in der Not zu belassen, ist einfach famos. So vieles gibt es schon von diesen „intelligenten“ Helfern im Alltag, die hinläufig mit dem Internet der Dinge verbunden werden: Ob der internetfähige Regenschirm, die Glühbirne, die sich einschaltet, sobald sie sich ihren vier Wänden nähern; es gibt mit dem Wecker im Smartphone oder Tablet synchronisierte Kaffeemaschinen.

Das Internet der Dinge alles und jeden miteinander verbinden

Eine Menge von dem scheint auf den ersten Blick unwichtig oder überflüssig: Nehmen Sie nur den egg minder, der uns, egal wo auch immer wir uns auf der Welt aufhalten, darüber auf dem Laufenden hält, wieviele Eier oder sonstige Lebensmittel noch im Kühlschrank stecken, und bei Bedarf und, wenn gewünscht, sogar eine Bestellung beim nächstgelegenen Supermarkt auslöst. Rettung naht. Dank der Segnungen des Internets werden wir nicht nur freier, klüger und intelligenter, sondern können uns, Dank der gewonnenen Zeit (haha……) auf Sinnvolleres konzentrieren. Das Internet der Dinge wird zukünftig alles und jeden miteinander verbinden: Sensoren an Verkaufsautomaten, Lieferfahrzeugen, Nutztieren, Handys, Kleidung, Lebensmittel, Medikamente.

Alle fünf Jahre verdoppelt sich derzeit die Zahl der autonom mit dem Internet verbundenen Geräte, ob Mobiltelefone oder Laufschuhe. Geräte, die ohne unser Zutun miteinander kommunizieren. Dies bedeutet, dass wir im kommenden Jahr 25 Milliarden und 2020 sogar 50 Milliarden dieser verbundenen Geräte haben werden. Seit längerem prophezeien Technologen den glorreichen Tag, an dem die künstliche Intelligenz die menschliche übertreffen wird und schließlich mit ihr fusioniert. Ein Ereignis, das sie Singularität nennen.

Epoche der menschlichen Glückseligkeit

Und dann? Nimmt man den Bestsellerautor und Gesellschaftstheoretiker Jeremy Rifkin, der mit seiner Consultingfirma gemeinsam mit Unternehmen und staatlichen Stellen diese Entwicklung massiv nach vorne zu treiben versucht, stehen wir, Jahrtausende nach der Vertreibung von Adam und Eva, endlich wieder an der Schwelle zum Paradies. Sein jüngstes Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus liest sich dahingehend wie eine nicht enden wollende Lobeshymne auf diese sich am Horizont abzeichnende Epoche der menschlichen Glückseligkeit.

Ich für meine Person sah vor meinem inneren Augen (okay, ein wenig eifersüchtig und neidisch war ich wohl schon als ich dieses Buch las), wie der Autor wohl in manchen heimiligen Stunden mit unsrem guten alten Karl Marx den einen oder anderen Joint genoss, als er die folgenden Zeilen niederschrieb: Abgelöst wird der Kapitalismus von den kollaborativen Gemeingütern. Das Internet der Dinge befreit den Menschen aus der Marktwirtschaft und lässt ihn in den kollaborativen Commons gemeinsam mit anderen immateriellen Interessen nachgehen.

Tausche Freiheit für Bequemlichkeit

Entschuldigung, seien Sie mir bitte nicht böse, aber so viel gequirlte Sch….e habe ich seit langem nicht mehr gehört. Glauben Sie mir, ich liebe Technik. Und jeder von uns, der es noch erleben durfte, muss sich nur einmal kurz in die internetlose Zeit zurückdenken, um von dieser gewaltigen Quelle für Inspiration und Information immer wieder aufs Neue begeistert zu sein. Ich liebe es. Und nichtsdestotrotz hoffe ich, dass ich von vielem, was da am technologischen Horizont zu uns heranzieht, mich persönlich nicht erreichen wird. Bei aller angeblichen Hilfe für das Alltägliche geben wir nämlich so nebenbei ganz freizügig über uns und unser Umfeld Informationen preis, teilweise ohne es zu ahnen, zum größten Teil auf jeden Fall aber ohne Fragen zu stellen. Wir tauschen sie blind gegen Bequemlichkeit aus, oder für das, was man heute halt dafür hält.

Heizung, Kühlschrank, Waage, Fitnessgeräte, elektrische Zahnbürste, Bordcomputer, vernetzte Fahrzeugsitze et cetera, in der Welt des Internets erzeugt alles einen riesigen Strom an Daten, der für den, der sie hervorrief, unerreichbar bleibt, nicht aber für diejenigen, die bereit sind, dafür zu zahlen, oder ihn sonstwie anfordern kann. Es geht nicht um uns. Und auch nicht um unser Wohlergehen. Es geht bei diesem Internet der Dinge schlicht und einfach um ein gewaltiges Verdaten. Es geht um billige Daten, die nicht für unser Wohlergehen sorgen, sondern dafür, dass wir noch berechenbarer und überwachbarer werden (siehe auch: Der gläserne Deutsche. Über Vertrauen und Freundschaft in Zeiten der NSA).

Es ist noch nicht zu spät

Mir persönlich macht es Angst, auch angesichts der unumstößlichen Tatsache, dass Dummheit, Egoismus und Geilheit nie aussterben werden. Nicht weil ich Angst davor habe, dass mir morgens der digitalisierte Spiegel im Bad ungefragt Spiel mir das Lied vom Tod vordudelt, sondern weil ich es nicht erleben möchte, wenn diese drei ewigen menschlichen Eigenschaften mit voller Wucht auf den digitalisierten Alltag einschlagen.

Es ist noch nicht zu spät. Jeder von uns hat es in der Hand, von Zeit zu Zeit, im richtigen Moment den Stecker zu ziehen.

Ihr Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner, irrsinn, das positive denken
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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