Über die Kunst, einen Verlust anzuerkennen

Warum soll es eine Kunst sein, einen Verlust zu realisieren? Sie wollen doch lieber Gewinne erzielen, wie z.B. das Haus, das Sie vor zehn Jahren in München gekauft haben, zum doppelten Preis wieder zu verkaufen! Richtig. Aber: Es gibt keine Gewinngarantie. Und Verluste zu realisieren, ist anscheinend richtig schwierig. Deswegen offenbart sich ein Entscheidungsdilemma.

In seinem heutigen Beitrag zur Themenserie „Entschlossen – Erfolgreich – Entscheiden“ zeigt Thomas Wuttke, warum es manchmal besser ist, unter einen Verlust einen Schlussstrich zu ziehen.

Das Objekt entwickelt sich nicht wie gewünscht …

Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, Sie haben sich vor zehn Jahren im Zuge der allgemeinen Immobilienhysterie ein Objekt zugelegt. Nicht in München, nein, irgendwo auf dem Dorf in Sachsen-Anhalt. Dreifache Anzahl Quadratmeter zum halben Münchner Preis. Nur leider entwickelt sich das Objekt nicht wie gewünscht. Die in ein stattliches Anwesen investierten 300.000 Euro kosten zwar kaum Zinsen, aber viel Miete kommt auch nicht rum. Sie selber wollen das Objekt nicht bewohnen und ein Mieter findet sich im Moment auch gerade nicht. Dafür sind immer wieder umfangreiche Renovierungsarbeiten nötig. Eine ungute Situation.

Was tun? Ein Bekannter rät Ihnen, das Objekt von einem Gutachter schätzen zu lassen. Der nennt als Marktwert aktuell nur 220.000 Euro. Wenn alle bisherigen Miteinnahmen mit den Finanzierungs-, Notar-, Renovierungs- und allen anderen Kosten saldiert werden, würden Sie bei insgesamt minus 100.000 Euro landen. Mehr als dumm gelaufen.

Ziehen Sie die rote Linie!

Jede getroffene Entscheidung kann sich ungünstig entwickeln, egal ob Auto, Haus, Aktie oder Lebenspartner. Niemand ist ein Hellseher. Die Kunst liegt nicht darin, nur noch richtige Entscheidungen zu treffen (geht nicht), sondern für den Fall einer ungünstigen Entscheidung die passenden Werkzeuge parat zu haben. Und das passende Werkzeug heißt im Falle von Verlusten: Eine rote Linie im Sand zu ziehen.

Der oben genannte Fall ist natürlich nur hypothetisch. Viele werden gar nicht so weit gehen und einen Gutachter beauftragen. Die meisten wollen sich nicht mit Verlusten quälen, wollen es vielleicht gar nicht so genau wissen. Verkaufen? Nie und nimmer! Sie sagen sich: „Der Immobilienmarkt unterliegt Schwankungen, das Objekt kommt auch wieder“. Es regiert das Prinzip Hoffnung, kurzum: Wir behalten das Objekt. Und gehen mit ihm unter. Es kann nämlich noch dümmer laufen.

Ein hypothetischer Verlust ist kein Verlust, oder doch?

Warum lassen wir es soweit kommen? Der Grund ist ein mentaler Bilanzierungstrick. Solange wir nicht verkaufen, ist der Verlust nur hypothetisch. In unserer mentalen „Bilanz“ ist das Haus noch immer den Kaufpreis wert, da wir diesen ja bezahlt haben. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, dass der Sachsen-Anhaltinische Immobilienmarkt einen noch nie gekannten Aufschwung erfährt. Wie würden wir uns doch ärgern, wenn wir unser Haus ausgerechnet am tiefsten Punkt zum niedrigsten Preis verkauft hätten. Also neigen wir dazu, im Verlust risikosuchend zu werden und diese Risiken entgegen den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit einzugehen. Leider gewinnt meist die nackte Häufigkeitsverteilung (daher der Name!) – und wir gucken erst recht in die Röhre, wenn wir viel zu spät der Not gehorchend dann doch die absolute Notbremse ziehen müssen.

Der mentale Bilanzierungstrick hindert uns einerseits an rationalen Entscheidungen, schont aber unser Selbstbild. Der Mentaltrick funktioniert nämlich dann nicht mehr, wenn der Verlust realisiert wird. Wir sind dann unumkehrbar mit den echten Zahlen konfrontiert sowie der Erkenntnis, einen falschen Weg beschritten zu haben, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Das nagt zwar am Selbstbild, schont aber den Geldbeutel.

Aktivieren Sie rechtzeitig den „Stop-Loss“

Die rote Linie im Sand kann uns helfen. Jedes Engagement, jede Entscheidung ist auch eine Art Wette. Und birgt daher die Ungewissheit, sich entgegen der gedachten Richtung zu entwickeln. Was wäre davon zu halten, wenn wir uns zu Beginn unseres Engagements eine Marke setzen. Eine Marke, ab der wir den Verlust realisieren, um den Geldbeutel zu schonen. Auch wenn es im ersten Moment gar nicht danach aussieht. Gerade wenn wir überzeugt sind, aufs „richtige Pferd“ gesetzt zu haben.

An der Börse heißt diese rote Linie im Sand auch Stop-Loss. Und an der Börse ist man sich genauso einig, dass der langfristige Erfolg in der strikten Einhaltung eben dieser Strategie liegt. Natürlich gibt es auch dort den sehr ärgerlichen (und übrigens gar nicht so seltenen) Fall, dass unmittelbar nach einem Verkauf die Stimmung wieder dreht. Dann hat man Pech gehabt. Und ein Entscheidungsprofi sieht das ganz genauso: Pech gehabt. Aufstehen, Staub abwischen, weiter machen ohne Reue. Neu versuchen. Im Spiel bleiben.

Und Letzteres ist auch der Grund, warum man Verluste realisieren sollte: Um am Ende im Spiel zu bleiben. Ein Stop-Loss, die rote Linie im Sand, kann im Vorfeld definiert werden. So können Sie sich überlegen, ob Sie sich diesen möglichen Verlust auch leisten könnten. Und Ihr Handeln und Ihre Entscheidungen daran orientieren.

Entscheidungen entschlossen durchführen

Genauso wichtig wie die Definition der roten Linie ist dann aber auch deren Ausführung. Wenn es so weit kommt, also zum Verlust, dann heißt es, die vorher gefasste Entscheidung auch entschlossen auszuführen. Roboterhaft. Wer im Angesicht der roten Linie zu diskutieren beginnt, wird verlieren. Verlieren, weil die Linie dann nach hinten geschoben wird. Verlieren, weil die positive Aussicht doch so sicher war, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Wir sehen gerade im Moment ein ähnliches Phänomen auf politischer Bühne: Die rote Linie der Staatsschulden ist doch eigentlich längst überschritten. Wissen tun das irgendwie alle, aber solange die wertlosen Staatsanleihen noch zum Nennwert bewertet werden, sieht ja alles noch gut aus. So ähnlich wie unser Steuersparmodell-Haus in Sachsen-Anhalt. Abrechnung folgt.

Trotzdem kann „Danebengreifen“ auch bedeuten, auf dem richtigen Weg zu sein. Aber das beleuchten wir beim nächsten Mal …

Über Thomas Wuttke

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Experte für Risikomanagement Thomas Wuttke. (Bild: © Thomas Wuttke)

Thomas Wuttke ist Speaker, Trainer, Manager, Dozent, Autor und Experte für Risikomanagement und erfolgreiche Entscheidungen. Er hatte über lange Jahre zahlreiche hohe nationale und internationale Managementpositionen inne. Der Herzblut-Unternehmer ist seit Mitte der 80er Jahre selbstständig. Kurz nach dem Studium gründete er seine erste Firma, ein Softwarehaus. Über ein Dutzend Firmen hat er seitdem ins Leben gerufen, gekauft und wieder verkauft. Mit dickem Plus aber manchmal auch mit schmerzhaften Minus. Thomas Wuttke weiß, wovon er spricht, wenn es um Risiken und harte Entscheidungen geht. Ganz nach seinem Motto „Entschlossen – Erfolgreich – Entscheiden“ legt er dar, wie wichtig es ist, Risiken zu erkennen und bewusst einzugehen. Denn: keine Entscheidungen zu treffen bringt garantiert auch keinen Erfolg. Die Zuhörer der Vorträge von Thomas Wuttke schätzen die Kombinationen aus tiefem Erfahrungsschatz, profunder Theorie und eingängiger Darstellung. Ganz ohne PowerPoint und äußerst unterhaltsam! Mehr über Thomas Wuttke unter www.thomaswuttke.com.

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