Über Humor im Konflikt: Wege in die Verbitterung

Die desolate Lage Griechenlands und die bitterernsten Gesichter der Repräsentanten von EU und IWF haben Ulrich B Wagner dazu angestiftet, über den Humor nachzudenken. Denn mit Humor ist vieles so viel leichter: Er schafft eine gesunde Distanz und trägt zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Humor macht das Leben leichter!

In seiner heutigen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ zeigt Ulrich B Wagner, wie wichtig der Humor ist.

Fachidioten und Leistungssportler kann man durch Wettbewerb erzeugen,
aber nicht umfassend gebildete, vielseitig kompetente und umsichtige,
vorausschauend denkende und verantwortlich handelnde, in sich ruhende,
und starke, beziehungsfähige Persönlichkeiten

Prof. Dr. Gerald Hüther

Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.

Karl Valentin

Die Landkarten sind nicht die Landschaft

De Shazer

Wie wollen wir zusammenleben?

Die Griechenland-Affäre wäre glatt eine Lachnummer, ginge es nicht auch um einen Wirtschafts- und Finanzkrieg, der darüber entscheiden wird, wie wir in der allernächsten Zukunft nicht nur leben wollen, sondern auch darum, wie wir zukünftig zusammenleben werden müssen: jenseits des Humors.

Wenn ich mich noch recht entsinne, war es Albert Einstein, der ja bekannterweise sehr viel Gescheites gedacht und gesagt hat, auch über die Lösung von Problemen: Wenn wir ein Problem lösen wollen, müssen wir die Ebene verlassen, auf der sich das Problem befindet.

Echte Persönlichkeiten haben Humor

Als ich im Rahmen des Interviews für die „AGITANO Veranstaltung #pimpyourpersonality“, die kommenden Freitag in Augsburg stattfindet und zu der ich als Gastredner geladen bin, gefragt wurde, was für mich eine Persönlichkeit ausmacht, sagte ich spontan, dass als einer der wichtigsten Indikatoren der Persönlichkeit für mich der Humor gilt. Denn nur wer Humor hat, kann auch die Zufälle des Lebens aushalten.

Kontingenztoleranz wäre nämlich somit das untrügliche Kennzeichen eines jeden echten Realismus. Treibt man diesen Gedanken auf die Spitze, gipfelt er in der Paradoxie einer gelungenen Selbstverwirklichung als Selbsttranszendierung: Nur die Persönlichkeit ist wirklich stark, die sich auch wirklich selbst überschreiten kann. Die Fähigkeit, einen Schritt von sich zurückzutreten, unterscheidet Menschen, die einfach nur leben, und Menschen, die ihr Leben führen. Eine unumstößliche Tatsache, die nicht nur für jeden Einzelnen von uns, sondern meines Erachtens auch für Staaten und Nationen gilt.

Nur wer Humor hat, kann auch kreativ wirken

Da Humor, Kreativität und Phantasie Geschwister sind, fällt mir in diesem Kontext ein weiterer Ausspruch unsres struppeligen, zerstreuten Professors ein: „Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt. Phantasie ist wirklich grenzenlos, und mit Humor verbunden kann sie besondere Blüten treiben.“ Denn Humor schafft Distanz, überwindet Fixierungen und erweitert den Wahrnehmungs- und Spielraum oder wie meine Oma, Gott hab sie selig, immer zum Besten gab: Wem das Wasser bis zum Hals steht, der soll den Kopf nicht hängenlassen. Auch wenn andere kontinuierlich das Ihrige dazu tun, dass dies rein physikalisch in Folge der Schwerkraft schon geschieht. Denn leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen doch nicht das Denk- und Einsichtsvermögen, auch wenn es in unseren Breitengraden bis weit in die 70er Jahre ein gern gesehenes pädagogisches Konzept darstellte.

Negatives macht krank

Das, was von Seiten der EU an neoliberalen Lösungsvorschlägen vorgeschlagen wurde, hat mittlerweile auch der IWF als folgenschwere Katastrophe bezeichnet, die zu Chaos, dauerhaften Schäden und einer nicht enden wollenden Erkrankung einer gesamten Nation führen würden. Für echte Lösungsfähigkeit bedarf es jedoch bekanntlich eines anderen Gesundheitszustands.

Nur echte psychische Gesundheit äußert sich als Konfliktlösungsfähigkeit und Lebensfreude – trotz allem! Witz und Humor helfen, Kränkungen und Konflikte kreativ aufzufassen, zu verfremden, Distanz zu gewinnen und aktiv zu bewältigen. Die Förderung des Sinnes für Witz und Humor ist somit Psychohygiene mit Spaß.

Die moderne Hirnforschung bestätigt, was Marc Aurel vor 2000 Jahren erkannt hat: Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farben der Gedanken an. Depressionen und Angststörungen kommen nicht aus heiterem Himmel, sondern aus trüben Gedanken und tiefen Kränkungen. Und tierischer Ernst führt zur Seelenfinsternis und zu finsteren Gesichtern, die wie oben bereits gesagt, das Leiden nur noch verstärken.

Doch die heitere Dreifaltigkeit: Leichtigkeit, Lockerheit, Lachen bedarf besonderer Beachtung und Aufmerksamkeit. Sie benötigt Training und wirkt wie eine erfrischende Sauerstoffdusche, wie eine Eingeweidemassage und fördert Entspannung und Seelen-Wellness. Unser Leben ist zu wichtig, das sollen wir uns nicht verderben lassen: Nehmen wir uns bitte unser Leben – es gehört verdammt nochmal uns!

Humor ist Ernstheiterkeit

Humor, ulrich wagner
Humor ist, wenn man trotzdem lacht! (Bild: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

Echter Humor ist Ernstheiterkeit – ein Kind der Lebensfreude, eine Trotzmacht.

Es war meines Wissens der Theologe Karl Rahner der einmal Humor als Ernstheiterkeit bezeichnete, um dann weiter auszuführen, dass nur ein Mensch, der sich selbst und andere Menschen ernst nimmt, menschlich ernst, nicht tierisch ernst, eine humorvolle Lebenseinstellung entfalten kann. Peter Altenberg nannte den Humor daher mit Recht den Schwimmgürtel des Lebens.

Man kann fast alles humorvoll oder humorlos sehen, auffassen, machen und erleben, man schaue nur nach Berlin oder Brüssel, in die Vorder- und Hinterzimmer der vermaledeiten zahlengetriebenen Ernsthaftigkeit.

Humor schafft Distanz

Doch nur in der humorvollen Einstellung betrachten wir alle schmerzlichen Dinge des Lebens wie durch ein umgedrehtes Fernrohr und gewinnen heilsame Distanz. Der Clown als zentrale Figur des Humors bringt diese beiden Seiten durch ein lachendes und weinendes Auge zum Ausdruck.

Der 70-jährige Sigmund Freud hat eine liebevolle Studie über den Humor verfasst: „Kein Zweifel, das Wesen des Humors besteht darin, dass man sich (und anderen) die Affekte erspart, zu denen die Situation Anlass gäbe, und sich mit einem Scherz über die Möglichkeit solcher Gefühlsäußerungen hinwegsetzt.“

Bananenschale – Hundehaufen – Glatze – Soße – Schäuble & Co.

Freud singt wahrlich ein Loblied auf die große psychische Leistung, die den Humor möglich macht: „Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik, sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes … Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs sondern auch des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag. Und Freud unterscheidet sehr genau: Der Scherz, den der Humor macht, ist ja auch nicht das Wesentliche … die Hauptsache ist die Absicht, welche der Humor ausführt. Er will sagen: Sieh her, das ist nun die Welt, die so gefährlich aussieht. Ein Kinderspiel, gerade gut, einen Scherz darüber zu machen.“

Weise Menschen haben Humor

Humor ist ein Kind der Lebensweisheit und Weisheit ist das Ergebnis eines geistigen Verdauungsprozesses (sapientia, sapio = schmecken, riechen, kosten, ob etwas gut tut). Das Bauchhirn sitzt in den Darmwänden und ist neben dem Kopfhirn die größte Neuronen-Anhäufung im Organsystem des Menschen. Auch morphologisch und anatomisch besteht eine große Ähnlichkeit zwischen den beiden Hirnen, die der geistigen und biologischen Verdauung dienen.

Wir müssen uns und den Menschen in Griechenland diese Verdauung endlich gestatten, auch wenn der eine oder andere Haufen dabei auf die neoliberalen Köpfe unserer Damen und Herren in Berlin und Brüssel zu fallen droht. Es wird nämlich Zeit, dieses abgekartete Machtspiel mit Humor und noch einmal Humor zu bekämpfen. Denn nur echter Humor lacht tierischem Ernst heiter ins Gesicht!

Wider den tierischen Ernst!

Der neoliberale Zeitgeist mit seiner einseitigen Konkurrenz- und Leistungsbesessenheit wird allzu oft von tierischem Ernst begleitet, der uns die Lebensfreude nimmt. Erich Kästner hat in den 50er Jahren die Einführung eines neuen Unterrichtsfaches verlangt, nämlich Lachkunde. Wir sollten mehr zu innerer Heiterkeit erzogen werden, statt ein Leben lang mit den „Dackelfalten der Probleme auf der Stirn herumzurennen“. In seinen Augen ist „Humor das ernsteste Thema der Welt.“ Er bezeichnet ihn als das „höchste Kleinod der leidenden Erdkrustenbewohner.“

Auch Egon Friedell klagt diese einseitige Ernsthaftigkeit an: „Das schlimmste Vorurteil, das wir aus unserer Jugendzeit mitnehmen, ist die Idee vom Ernst des Lebens. Daran ist die Schule schuld. Die Kinder haben nämlich den ganz richtigen Instinkt: sie wissen, dass das Leben nicht ernst ist, und behandeln es als ein Spiel und einen lustigen Zeitvertreib. Aber dann kommt der Lehrer und sagt: ,Ihr müsst ernst sein. Das Leben ist es auch.’“ Es ist schon so. Wir neigen dazu, uns selbst und das Leben tierisch ernst zu nehmen – nach dem Motto: „Ich gehe vor die Hunde – gehst du mit? – Nein Danke!“ sagt der Humor.

Humor versöhnt mit den Widersprüchen des Lebens, wovon das heutige Leben wahrhaft voll gefüllt ist: Er integriert die Gegensätze unseres Lebens: Tragik und Komik, Kindlichkeit und Erwachsensein, Lust und Schmerz, Glück und Unglück, Lachen und Weinen, Selbstliebe und Selbstdistanz.

Hoffentlich nehmen sie uns den Humor in ihrer ernsthaftigen Verbitterung nicht auch noch. Er könnte nicht nur für die armen Griechen, sondern auch für uns selbst der letzte Strohhalm sein, um uns aus dem Elend zu befreien.

Ihr
Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner, irrsinn, das positive denken
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

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