How to be unsichtbar vor lauter Teamgeist

… aus der wöchentlichen Kolumne „Ich bin total beliebt, es weiß nur keiner“ vom Speaker, Trainer, Impro-Comedian und Moderator Ralf Schmitt. Lernen Sie nach Mr. Facebook, den stets freundlichen, zugänglichen, offenen, charmanten und kommunikativen Super-Netzwerker, „Frau Tarnkappe“ kennen. Und erfahren Sie, warum die Kollegin gerade für den Teamgeist im Unternehmen so immens wichtig ist!

Die Tarnkappe

Stellen Sie sich vor, Sie haben mit Ihrem gesamten Team ein Abendessen beim Italiener. Natürlich sind Sie zu spät losgefahren, Sie haben keinen Parkplatz gefunden und als Sie dann leicht gehetzt im Laden ankommen, gibt es nur noch einen Platz auf der rustikalen aber unbequemen Bank: Ganz am Rand, gegenüber der Kollegin, deren Namen Sie immer wieder vergessen. Einen Moment ärgern Sie sich über Ihr schlechtes Namensgedächtnis. Als dann Sätze fallen wie „Nehmt ruhig, ich hab Zeit“, als das Brot verteilt wird, oder „Nein, nein, nehmt ihr, mir reicht ein Mineralwasser“, als es um den Wein geht, wird Ihnen klar, warum sich diese Dame immer wieder in der hintersten Ecke Ihres Gehirns versteckt. Sie arbeitet massiv an ihrer Unsichtbarkeit und übt sich darin, eine Tarnkappe zu tragen.

Kommt in den allerbesten Firmen vor

Ich behaupte, in jeder Firma gibt es eine solche Person, ich nenne sie mal Frau Tarnkappe, die zugegebenermaßen auch ein Mann sein könnte. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Szene, die sich neulich am Kopierer bei einem meiner Kunden abgespielt hat. Vor dem Gerät reihten sich mindestens zehn Personen in eine Schlange ein. Ganz am Ende „Frau Tarnkappe“. Als ich eine halbe Stunde später ein paar Seiten kopieren will, steht nur noch diese Dame am Kopierer und, da ich es ein bisschen eilig habe, bitte ich Sie, ob ich nicht eben mal meine zwei Kopien machen könnte. Das wäre sehr nett. Die meisten hätten an dieser Stelle wahrscheinlich gesagt: „Ich steh hier seit ner halben Stunde, die fünf Minuten, die ich brauche, kannst du jetzt auch noch warten“. Nicht so Frau Tarnkappe. Sie nickt und sagt „Sie scheinen es ja mächtig eilig zu haben. Bitte!“ und tritt zur Seite.

Das nenne ich mal Teamgeist!

Zurück zum Italiener. Heute herrscht besonders gute Stimmung. Unser Teamleiter singt ein Loblied auf alle Anwesenden, sogar auf den Praktikanten, und Frau Tarnkappe vergisst er einfach, bis ihn der übereifrige Praktikant darauf hinweist. Der Chef setzt an mit Sätzen wie „Was Frau Tarnkappe für die Firma alles leistet, muss ich ja nicht unbedingt hier erwähnen. Das weiß ja jeder. Wie Sie zum Beispiel … !“ Und an dieser Stelle entsteht eine Pause, eine lange, sehr peinliche Pause. Der Chef sucht fieberhaft sein Gehirn nach einer Erinnerung an Frau Tarnkappes Verdienste ab und die anderen starren betreten auf ihre Teller. „ … immer alle beim Kopieren vorlässt. Das nenne ich mal Teamgeist!“, beendet unsere Führungskraft seinen immer noch in der Luft hängenden Satz. Alle sind erleichtert und sich einig: Frau Tarnkappe ist ein echter Teamplayer. „Sie schreibt auch immer das Protokoll“, weiß unser Praktikant noch zu sagen. Ich verkneife mir zu erwähnen, dass das sowieso nie einer liest.

Erholung für Auge und Ohr

Jetzt könnten Sie sagen: „Lieber Herr Schmitt, jede Firma braucht auch solche Leute. Bei all den Raumverdrängern, Alphamännchen und Maulhelden ist es doch geradezu wohltuend, wenn da jemand dabei ist, der Auge und Ohr Erholung bietet. Aber das sehe ich anders. Denn die Form der Aggression von Tarnkappen ist zwar subtil, aber dennoch allgegenwärtig. Sie laufen nämlich nicht freundlich und bescheiden lächelnd durch die Firma. Ihre schlechte Laune fließt praktisch permanent leise aus ihnen heraus in die Atmosphäre und geht damit über auf den Rest der Mitarbeiter. Das vorherrschende Gefühl ist nicht Teamgeist sondern Verbitterung. Verstehen Sie? Andere hauen mal auf den Tisch oder motzen herum, wenn ihnen etwas nicht passt. Sie nicht. Nein, Tarnkappen grämen sich still. Und dennoch spürt man ihre Verbitterung und das ist alles andere als gut fürs Team.

Suchen Sie sich einen Mentor

Lieber Leser, sollten Sie sich gerade dabei ertappen, zu denken „Huch, der hier beschrieben Typ, das bin ja ich“, dann folgt hier mein ernstgemeinter und hoffentlich aufbauender Rat. Manche Menschen sind in der zweiten Reihe gut und auch, wenn sie nicht gerne im Spotlight stehen, ist es möglich gute Leistungen zu erbringen und Teil eines Teams zu sein. Trotzdem könnte Ihnen ein bisschen „Hoppla jetzt komm ich“ nicht schaden. Wenn sie alleine nicht schaffen, auch einmal laut zu sein, dann suchen Sie sich in Ihrer Firma einen Mentor, der Sie dabei unterstützt.

Sollten Sie selbst nicht zur Gruppe der Tarnkappen gehören, sich aber eine solche in Ihrer Umgebung befinden, hier ein weiterer Rat: Zum Teamgeist gehört es auch, die Schwächen anderer Menschen nicht auszunutzen. Es bricht Ihnen kein Zacken aus der Krone, wenn Sie auch ruhigen Kollegen einen Platz im Spotlight geben und diese und ihre Arbeit wertschätzen.

Ralf Schmitt, Kollegen
Experte für Spontaneität, Improvisation und Interaktivität. (Foto: © Ralf Schmitt)

Über Ralf Schmitt:

Ralf Schmitt arbeitet seit mehr als 15 Jahren erfolgreich als Speaker, Trainer, Impro-Comedian und Moderator. Er gilt als Experte für Spontaneität und Interaktivität, hat die Methode der Navituition® entwickelt und ist Mitglied der German Speakers Association. Schmitt ist branchenübergreifend tätig und kennt die deutsche Wirtschaftslandschaft aus dem Effeff. Seine inhaltliche Mitarbeit im Vorfeld und seine Auftritte bei unzähligen Tagungen und Kongressen geben ihm eine externe Sichtweise auf innerbetriebliches Geschehen und Veränderungsprozesse in Unternehmen verschiedener Größenordnungen. Darüber hinaus ist er Autor der Bücher „Ich bin total spontan, wenn man mir rechtzeitig Bescheid gibt“ und „Ich bin total beliebt, es weiß nur keiner“.

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