Nachdem die abgewanderten Kunden identifiziert und die möglichen Verlustursachen eingehend analysiert sind, geht es nun darum, die lukrativen unter den verlorenen Kunden zu reaktivieren. Dabei interessieren vor allem zwei Aspekte: Mit wem lohnt sich ein Neuanfang? Und: Wer will überhaupt zurück? Sodann ist zu klären: Welchen ‚Rückhol-Köder‘ wollen Sie anbieten? Wann soll dies erfolgen? Wer soll die Ex-Kunden ansprechen?
Teil der Maßnahmenplanung ist die Vorauswahl solcher Kunden, die rentabel waren bzw. sein werden und rückholbar sind. Die Abwanderung wertarmer Kunden ist durchaus erwünscht. Es gilt also, die Spreu vom Weizen trennen. Dabei darf man sich nicht von subjektiven Einschätzungen oder persönlichen Vorlieben leiten lassen, sondern es braucht ein vergleichendes Bezugssystem. Basis hierfür ist eine funktionsfähige Datenbank mit gut gepflegten Kundendaten.
Das Kunden-Scoring
Die Scoring-Methode dient der Vorselektion solcher Kunden, die in die Reaktivierungsaktion einbezogen werden sollen. Hierbei werden zunächst die Kriterien definiert, die die Kunden reaktivierungsattraktiv machen. Und das ist bei weitem nicht nur der Ertrag, der mit einem Kunden erzielt werden kann. Kunden haben ja nicht nur einen monetären, sondern auch einen ideellen Wert. Um all dies zu berücksichtigen, bieten sich etwa die folgenden Merkmale an:
• Die Kaufhistorie: Wie lange war uns der Kunde verbunden, wie oft und wie viel hat er zu welchen Zeiten und mit wie viel Ertrag gekauft?
• Der Deckungsbeitrag: Wie profitabel kann der Kunde zukünftig sein?
• Der Imagefaktor: Können wir uns mit diesem Kunden schmücken?
• Der Empfehlungswert: Ist dieser Kunde ein wertvoller Empfehler?
• Die Zukunftsperspektive: Ist der Kunde innovativ und gehört er einer Wachstumsbranche an?
• Die Preissensibilität: Verhandelt der Kunde bis aufs Messer?
• Der Schnäppchenfaktor: Hat der Kunde kontinuierlich gekauft – oder nur die wenig rentablen Schnäppchen?
• Die Zahlungsmentalität: Bezahlte der Kunde seine Rechnungen pünktlich und ohne Beanstandungen?
• Die Bonität: Wie steht es um seine zukünftige Zahlungsfähigkeit?
• Der Betreuungsaufwand: Wie anspruchsvoll war der Kunde?
• Der Sympathiefaktor: War der Kunde angenehm und gern gesehen?
• Die Reklamationsbereitschaft: Reklamierte der Kunde häufig?
Diese und ähnliche Kriterien, die individuell zu bestimmen sind, werden auf einer Skala von null bis zehn bewertet und optisch sichtbar gemacht. Die Punkte (= Scores) werden schließlich aufaddiert und in eine Rangfolge gebracht. Dem Vertrieb ermöglicht dieses Vorgehen, sich systematisch auf die interessantesten Reaktivierungskandidaten zu konzentrieren.
Rückholangebote entwickeln
Es gibt drei Arten von Comeback-Ködern, die eingesetzt werden können, um den Kunden versöhnlich zu stimmen:
• emotionale (Entschuldigung, Erklärungen, verständnisvolle Gespräche, Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Akzeptanz, Anerkennung der Wichtigkeit des Falls bzw. des Kunden etc.)
• materielle (Behebung des Schadens, Wiedergutmachung etc.)
• finanzielle (Rückkehrprämien, Preisnachlässe, kostenlose Zusatzleistungen, Spezialtarife, Gutschriften, Bonuspunkte etc.)
Diese können kombiniert werden. Bei der Ausstattung des Rückgewinnungsangebots ist nicht nur an den Soforterfolg zu denken, sondern vor allem auf eine dauerhafte Reloyalisierung zu zielen. Ein Comeback-Bonbon soll also sowohl das Zurückkommen als auch das Bleiben belohnen. Manchmal reicht schon ein gesteigertes Maß an Aufmerksamkeit, um Menschen (wieder) für sich zu gewinnen.
Also gilt es, zu überlegen, welche emotionalen Türöffner beim jeweiligen Kunden hilfreich sind. Dabei ergeben sich die unterschiedlichsten Ansatzpunkte:
• Geben Sie dem abgewanderten Kunden das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
• Sagen Sie ihm, wie wichtig Ihnen die weitere Zusammenarbeit ist.
• Erinnern Sie ihn an die lange und gute Zeit des Miteinanders.
• Erinnern Sie ihn an ein ganz besonders positives Ereignis.
• Erinnern Sie ihn an einen Fall, wo er Sie ganz besonders gebraucht hat und wie Sie sich da für ihn ins Zeug gelegt haben.
• Bieten Sie ihm Problemlösungen und vor allem gute Gefühle.
Das Rückgewinnungsangebot muss in jedem Fall fair sein – und zwar aus Sicht des Kunden. Standardisierte Rückhol-Angebote haben weniger Aussicht auf Erfolg als individuell mit dem Kunden abgestimmte Offerten. Also: Nichts schnitzen, was Sie für angemessen halten, so nach dem Motto: „Das sollte reichen!“, sondern den Kunden befragen. Ihm muss es zusagen.
Das schnelle Timing
Egal, ob das Abwandern still und leise erfolgt oder mit einer lautstarken Kündigung verbunden ist: Auf Warnhinweise reagiert man am besten sofort. Die Dortmunder Beratungsgesellschaft Materna hat beispielsweise herausgefunden, dass bei einer prompten Antwort auf eine Beschwerde die Abwanderungsquote der Kunden von 39 Prozent auf 15 Prozent sank.
Also: Jeder Tag zählt. Je eher die mit der Aktion betrauten Mitarbeiter die Unterlagen zur Verfügung haben, desto besser. Dann ist das Adressmaterial noch aktuell und die Erinnerungen sind frisch. Nicht immer hat sich der Abtrünnige bereits für einen neuen Anbieter entschieden, wenn er den alten verlässt. Und schließlich hatte man sich früher ja auch einmal gut vertragen. Daran lässt sich anknüpfen. Eine Restloyalität und damit auch Gesprächsbereitschaft ist oft noch vorhanden. Und: Viele Menschen vergessen schnell und verzeihen gern.
Sind jedoch die emotionalen Verbindungslinien endgültig gekappt, wird das Zurückgewinnen schwieriger. Man hat sich nun einem neuen Partner zugewandt, hofft auf das Beste und rückt die positiven Seiten der neuen Beziehung in den Vordergrund. All das ist subjektiv eingefärbt – wird aber rational präsentiert. Wir schnitzen uns quasi eine Rechtfertigung für unsere ‚Tat’ und besänftigen unser schlechtes Gewissen.
Die Umsetzung der Maßnahmen
Die Reaktivierung absprungwilliger bzw. verlorener Kunden ist etwas für Kommunikationsprofis. Eine Menge Verkaufspsychologie ist vonnöten, um sich auf die individuelle Gesprächssituation und den jeweiligen Kundentyp optimal einzustellen. Die Mitarbeiter brauchen dazu fachliche und kommunikative Fähigkeiten – und ein hohes Maß an Identifikation mit ihrem Unternehmen. Wer viel mit Reklamationen zu tun hat, eignet sich dabei besonders gut.
Es braucht auch beträchtliche Entscheidungskompetenzen. Denn die für den jeweiligen Fall passende Reaktion muss flexibel und schnell erfolgen. Langwierige bürokratische Prozesse verärgern den Kunden nur noch mehr. Schließlich muss der Mitarbeiter Kosten und Nutzen seiner Zugeständnisse betriebswirtschaftlich abwägen können. Blockt er zu stark ab, werden die Reaktivierungserfolge mager ausfallen. Ein sensibles Entgegenkommen ist deutlich zielführender. Und das muss gar nicht teuer sein.