Die Financial Times Deutschland hatte bereits Ende 2011 berichtet, dass die private Krankenversicherung in Deutschland vor dem aus steht – eine Entwicklung, die sogar aus den eigenen Reihen getragen wird. Demnach wollen die großen Versicherungskonzerne Allianz, Munich Re und Generali aus der privaten Kranken-Vollversicherung aussteigen. Derzeit würden konkrete Modelle geprüft, die privaten Krankenversicherer (PKV) auch ohne die Absicherung aller wesentlichen Gesundheitsrisiken betreiben zu können. Dies würde im Kern die Reduzierung auf eine private Zusatzversicherung als Ergänzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen bedeuten. Auch die Bertelsmann Stiftung und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sprechen sich nun aktuell für eine Zusammenführung der gesetzlichen (GKV) und privaten (PKV) Krankenversicherung aus. Beide Organisationen stellen heute, 13. Mai, in Berlin die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Krankenversicherung der Zukunft vor.
Integrierte Krankenversicherung im Interesse aller
“Die Aufspaltung der Krankenversicherung ist ineffizient und problematisch für Selbstständige und Geringverdiener. Deutschland ist das letzte Land der Erde, wo dieses Modell besteht”, erklärt Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Die Zeit sei reif für eine integrierte Krankenversicherung. “Eine integrierte Krankenversicherung ist im Interesse aller, auch der privat Versicherten”, sagt Gerd Billen, Vorstand des vzbv. “Gerade privat Versicherte müssen aktuell wieder mit höheren Beiträgen rechnen. Die Gesundheitspolitik muss in der kommenden Legislaturperiode eine Richtungsentscheidung für die Integration von GKV und PKV treffen, damit alle Akteure wissen, wohin die Reise geht.” Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem es die private Kranken-Vollversicherung in der jetzigen Form gibt. In allen anderen Ländern sind gesetzliche Grundsicherungssysteme mit privaten Zusatzversicherungen üblich. Dabei steht das duale System aus PKV und GKV in Deutschland schon länger in der Kritik (siehe IGES-Gutschten) und verliert auch in der Politik zunehmend an Akzeptanz. Befürchtet wird eine Zwei-Klassen-Medizin, kritisiert wird unter anderem auch der unsolidarische Charakter der PKV. In Deutschland sind neun Millionen privat versichert und 72 Millionen bei den gesetzlichen Kassen.
Finanzierung der Krankenversicherung aus drei Säulen
Bertelsmann Stiftung und vzbv legten heute einen Zehn-Punkte-Plan vor, in dem sie die notwendigen Reformschritte und zu klärenden Fragen auf dem Weg zur integrierten Krankenversicherung beschreiben. Dazu gehöre die Angleichung der ärztlichen Vergütung, die für die Ärzte insgesamt aufkommensneutral erfolgen solle. Leistungen sollen künftig gleich vergütet werden – unabhängig von der Krankenversicherung, die der Versicherte hat. “Wir sehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken für eine Zusammenführung der Systeme. Die Regelung der Krankenversicherung steht vielmehr mitten im Gestaltungsraum der Politik”, so Aart De Geus. Im Hinblick auf grundsätzliche Ausgestaltungsmerkmale soll sich die integrierte Krankenversicherung an der heutigen GKV orientieren. Eine Differenzierung von Krankenversicherungsbeiträgen nach Alter oder individuellem Gesundheitsrisiko soll künftig ausgeschlossen sein. “Alle Krankenversicherungsanbieter müssen künftig von allen Versicherten frei wählbar sein. Die Beiträge sollen dabei die Leistungsfähigkeit der Versicherten widerspiegeln”, fordert Billen. In diesem Zusammenhang sprechen sich beide Organisationen für eine Finanzierung der Krankenversicherung aus drei Säulen aus: den Beiträgen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern sowie aus Steuermitteln.
Finanzielle Entlastungen im unteren Einkommensbereich möglich
Die derzeit von den Parteien diskutierten Vorschläge zur Einbeziehung nicht sozialversicherungspflichtiger Einkommen in die Krankenversicherung sind in einer von beiden Organisationen heute vorgestellten Studie des Berliner IGES-Instituts miteinander verglichen worden. Bewertet wurden Sie dabei anhand der Kriterien “Gerechtigkeit”, “Nachhaltigkeit” und “Effizienz”. Die Szenarienberechnungen ergaben, dass bei der Heranziehung von Steuermitteln Versicherte mit hohem Einkommen aufgrund der Progression stärker zur Finanzierung des Krankenversicherungssystems herangezogen werden, als es bei einer bloßen Ausweitung der Beitragspflicht auf andere Einkommensarten der Fall wäre. Beide Finanzierungsvarianten eröffnen jedoch Spielräume für finanzielle Entlastungen im unteren Einkommensbereich. Im Fall der Steuerfinanzierung profitieren hiervon Ruheständler stärker als abhängig Beschäftigte; im Fall der Ausweitung der Beitragspflicht verhält es sich tendenziell eher umgekehrt. Da keine zusätzlichen administrativen Kosten entstehen, besticht eine direkte Steuerfinanzierung vor allem hinsichtlich ihrer Effizienz. Sowohl die Ausweitung der Beitragspflicht auf andere Einkommen als auch die Durchführung eines steuerfinanzierten Sozialausgleichs für einkommensunabhängige Prämien ziehen Bürokratiekosten in Höhe von über 175 Millionen Euro nach sich. Um die steuerliche KoFinanzierung der Krankenversicherung gegen kurzfristige Schwankungen im Bundeshaushalt zu schützen, empfiehlt die Studie, den derzeitigen Bundeszuschuss in einen “Bundesbeitrag” umzuwandeln und gesetzlich an das Aufkommen aus der lohnzentrierten Beitragsfinanzierung zu koppeln.
Interview mit Stefan Etgeton über eine Reform der Krankenversicherung
Stefan Etgeton, Programmdirektor der Bertelsmann Stiftung, erklärt in einem Interview, wie die gesetzliche (GKV) und die private (PKV) Versicherung in einen gemeinsamen Zweig zusammengeführt werden können:
Weitere Informationen
>> Zur Projektbeschreibung “Integrierte Versicherung”
Downloads:
>> 10 Punkte Integrierte Krankenversicherung
>> Zusammenfassung Studie Integrierte Krankenversicherung
>> Studie zur Finanzierung einer integrierten Krankenversicherung
(sb mit Informationen der Bertelsmann Stiftung)