… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.
Heute: Casino Royale…
Und der Geist der Freiheit
(einige Gedanken zum 300ten Geburtstag von Jean Jacques Rousseau)
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Theodor W Adorno, Minima Moralia
Das Geld, das man besitzt, ist das Mittel zur Freiheit, dasjenige, dem man nachjagt, das Mittel zur Knechtschaft.
Jean Jacques Rousseau
Es war einmal… So fangen alle guten Märchen an. Und doch? Es war einmal ein Poet, Philosoph und der große Partisan der bürgerlichen Gesellschaft, der in veredelten Armeniergewändern durch die Gassen seines Schweizer Exils zieht und beginnt, Modeschmuck herzustellen. Ein Exot, ein Träumer, ein Phantast und der Autor so großer Werke wie der Nouvelle Héloise, dem Émile, des Contrat Sociale, der Confessions und so wichtiger Diskurse wie „Über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit“. Sein Name Jean Jacques Rousseau, geboren am 28. Juni 1712 in Genf als Sohn des Uhrmachers Isaac Rousseau. Heuer genau auf den Tag wäre sein 300ter Geburtstag, und es ist genau 250 Jahre her, dass seine drei Hauptwerke das Licht der Öffentlichkeit erblickten und sich so auf den Weg machten, das Denken und Fühlen der Menschen, ja das ganzer Gesellschaften zu verändern. Seine Werke sind der Nährboden auf dem die Französische Revolution erst möglich wurde. Er inspirierte Dichter, Denker und Revolutionäre, von Goethe, Hölderlin oder Robbespierre bis zu Fidel Castro, der angeblich den Contrat Sociale auf der Überfahrt nach Kuba in seiner Tasche gehabt haben soll.
Matthias Greffrath schrieb über ihn in DIE ZEIT von letzter Woche: Rousseau unternahm das Wagnis, konstruktiv zu träumen, und das war aufrührerischer als alle Gesellschaftskritik… Drei Gegenuniversen hat er entworfen und sie leuchten bis heute: Liebe und Arbeit in Gemeinschaft; Autonomie durch Bildung; Freiheit durch Gleichheit – entworfen gegen falsche Souveränitäten, gegen Macht, Religion und Geld.
So weit so gut.
Zeiten ändern sich. Menschen kommen und gehen. Alles dreht sich, dreht seine Kreise, geht voran. Und dann….?
Rousseau nannte zwei Nötigungen für die Erneuerung des Contrat: die Korrektur destruktiver Ungleichheiten oder die Erkenntnis einer großen gemeinsamen Notlage. Und dann gibt es Epochen, in denen beides zusammenkommt, wie Martin Greffrath treffend in seinem Artikel über Rousseau anmerkte.
Und da stehen wir nun: Mit beiden Füßen stecken wir alle fest in diesem Dilemma, strampeln wie kleine Kinder und kommen doch keinen einzigen Millimeter voran.
Wissen schützt vor Irrsinn nicht, und doch könnte es manchmal hilfreich sein, sich auf unsere geistigen Wurzeln zurückzubesinnen. Was würde Rousseau heute sagen angesichts unseres Casino-Kapitalismus, der es wenigen erlaubt, auf Kosten der Mehrheit und zukünftiger Generationen mit unseren Lebensressourcen zu spielen, oder treffender ausgedrückt: zu zocken. Wir wissen es nicht. Vielleicht hätte er sein Armeniergewand, Diogenes folgend, gegen eine einfache hölzerne Tonne getauscht und hätte geschwiegen. Wer weiß?
Warum? Warum wird Otto-Normalverbraucher in Therapie geschickt, bekommt Lokalverbot und Psychopharmaka, wenn seine Spielsucht krankhaft wird, und die Anderen, die ganze Volksvermögen mit weinigen Klicks in Asche legen, werden dagegen als Helden gefeiert? Wieso legen wir unsere Zukunft in die Hände von Programmierern, die anhand komplizierter Algorithmen Programme entwickeln, die losgelöst von jeder unternehmerischer Verantwortung in Sekundenbruchteilen an den internationalen Finanzmärkten ihr gefährliches Spielchen treiben?
Ist es vielleicht nicht doch wieder einmal an der Zeit, konstruktiv zu träumen, mutig das fast Unmögliche zu wagen, neue Wege zu finden jenseits bestehender Restriktionen und vermeintlicher Ängste?
Es geht auch mir gewiss nicht um bloße Utopien, Visionen oder selbstverliebte Träumereien.
Auch Rousseau wurde allzu oft falsch verstanden. Denn Rousseaus Gedanken sind am Ende des Tages doch kein bloßes realitätsfernes zurück zur Natur Gerede, auf allen Vieren gar, wie Voltaire schon spottete. Es geht darum, eine Richtschnur, einen Anker zu besitzen, eine Vorstellung dessen zu haben, was uns zusammenhält, unser Leben und unser Zusammenleben lebenswert und wertvoll macht.
Manchmal werden sogar Märchen wahr, wenn wir es nur wirklich wollen. Es ist daher mehr als an der Zeit, sich unserer geistigen Wurzeln der Freiheit wieder zu erinnern und diese zum Maßstab unseres täglichen Handelns werden zu lassen.
Herzlichst
Ihr Ulrich B Wagner
Zum Autor:
Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.
Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.
Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.
Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).