…aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus“.
Heute: „Morgen, übermorgen, nie. Über ein Leben mit der inneren Drecksau!“
oder: mit dem ICE direkt vom Saustall in die Prokrastrinations-Ambulanz
Wer unter Druck und mit der Angst vor Versagen ein Problem lösen will, ist zu fixiert. Er springt aus dem Fenster, statt nach der Feuerleiter zu suchen.“
Klaus Linneweh
Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.
Lucius Annaeus Seneca
Im Grunde ist es am Ende des Tages doch ziemlich einfach: Manche Arbeiten muss man halt von Natur aus einfach dutzende Male verschieben, bevor man sie endgültig vergisst…..
Die Hemden waren leider alle schon gebügelt, auf Fenster putzen im Regen hatte ich einfach keinen Bock und das heilbringende Internet mit seinen in Mausklick entfernten Verlockungen, Ablenkungen und wichtigem (oder unwichtigem) ‚Dudidu‘ war zu allem Überdruss gerade auch noch ausgefallen. Außer Kaffee nix angestellt in der Küche. Was soll man also sauber machen, wenn gar nichts dreckig ist? Geht auch. Kenne ich von Kollegen, ist mir aber einfach doch zu blöd.
Was tun in der Not, um von der wöchentlichen Kolumne wegzulaufen. Ins Bett legen und warten bis die Grippe kommt. Schon ausprobiert. Sie kam wirklich! Kam sie mal nicht, kam stattdessen postwendend meist eine Depression. Für eine Kolumne am Ende des Tages doch ein wenig zu viel des Guten, oder was meinen Sie? Vielleicht ein ausgedehnter Frühschoppen, dienstags um 10 Uhr, und nächste Woche mit der Lufthansa erster Klasse in die Betty-Ford-Klinik?
Warum sich stattdessen nicht einfach mal flugs in den Zug gesetzt und ins schöne Münsterland gefahren und sich ein Attest geholt? Für was, in aller Herrgottsnamen, gibt es sie denn sonst diese schöne Prokrastrinations-Ambulanz an der Westfälischen Wilhelms- Universität? Abgelenkt hat es, doch was bringt einem, als Angehörigen des Prekariats, dieses Attest? Außer Spesen und einem netten kleinen Tagesausflug auch wieder nichts.
Spaß beiseite.
Manche Dinge brauchen einfach ihre Zeit bzw., neudeutsch ausgedrückt, ihre Inkubationszeit. Sie wollen einfach gären, bis sie sich zur Welt gesellen. Was, wenn dies, wie oben beschrieben, jedoch chronisch wird?
Angeblich leiden bereits weit über 20% der Deutschen und über 40% der Amerikaner unter chronischer Prokrastination, auch Aufschieberitis genannt. Neben Münster gibt es für diese Notleidenden bereits Ambulanzen in Berlin und Hamburg, und in zahlreichen weiteren Städten befinden sie solche Ambulanzen gerade im Aufbau.
Die ehemals nur unter Studenten grassierende Krankheit breitet sich im Zuge der Prekarisierung weiter über große Teile der Bevölkerung und mittlerweile fast wie ein Flächenbrand über Deutschland aus.
Einen kleinen Stapel unerledigter Dinge haben wir alle. Doch was tun, wenn die Suche nach der verlorenen Zeit bereits mehr Zeit auffrisst, als das ursprünglich Aufgeschobene?
Ein Vielzahl von Studien haben viele der Prokrastinations-Mythen längst widerlegt: Aufschieber haben weder die falsche Einstellung oder gar weniger Ehrgeiz, sie sind nicht neurotisch, weniger intelligent oder auch nicht weniger begabt als die Pünktlichen.
Trotz alledem ist ein ständiges Verschieben auch ein Hilferuf der Seele, ein Angstschrei. Falls diese Angst nicht gar bereits mit einer Depression händchenhaltend durch das Leben der Betroffenen stolziert, sollte man sie dennoch nicht Herunterspielen, denn sie kann sich flugs als gefährlicher Vorbote einer solchen herausbilden.
Aufschieben lähmt, Lähmung ängstigt und macht hilflos, und wer ziel- und hilflos durchs Leben läuft, ist ein probates Angriffsziel für alle Widrigkeiten dieser schönen Welt.
Auch wenn die Ursachen des chronischen Aufschiebens noch nicht geklärt sind, zählt ein zu hohes Anspruchsdenken jedoch meist dazu. Oftmals hilft es daher bereits, sich mit einer Person seines Vertrauens wieder objektiv zu verorten, sich realistische Ziele, eine angemessene Erwartungshaltung an sich sowie, bei allen Freiheiten, die das moderne Leben so mit sich bringt, ein wenig selbst in Struktur zu bringen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Häufig stecken nämlich meist auch noch unbewusste Ängste oder weit tiefer Verdrängtes dahinter, was für eine ausgewachsene „waschechte“ Prokrastination in der Regel auch gilt.
Die Kolumne habe ich trotzdem geschrieben, wie Sie beim Lesen dieser Zeilen ja bereits feststellen konnten. Vielleicht habe ich ja einfach zu früh aufgehört aufzuschieben, oder war die Kolumne gar am Ende des Tages nur ein adäquates und gern gesehenes Mittel, um Anderes aufzuschieben? 😉
Scherz beiseite. Ich wünsche uns Allen trotz alledem die nötige Kraft, den inneren Schweinehund und Hüter der Prokrastination rechtzeitig zu bändigen, bevor er Herr über unser Leben wird und dieses in Schutt und Asche zu legen droht.
Herzlichst,
Ihr Ulrich B Wagner
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Zum Autor:
Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie. Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare. Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook(UlrichBWagner).