Der eindimensionale Mensch … . Oder der Versuch über das Lob des Eigennutzes

Der Autor Christian Kracht erzählt in Faserland vom Ende einer Welt, die der sogenannte Mainstream niemals hat kennenlernen können. Erleben wir durch die heute stattfindende Vereidigung Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika etwas Vergleichbares? Oder handelt es sich bei der Inauguration um eine weitere Runde im munteren Treiben des ewigen Spiels vom Schein und Sein? Unser Kolumnist Ulrich B Wagner sucht heute in „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ nach Antworten auf diese und weitere Fragen.

Vielleicht hat es ja so begonnen.
Du denkst, du ruhst dich einfach aus,
weil man dann besser handeln kann, wenn es soweit ist,
aber ohne jeden Grund, und schon findest du dich machtlos,
überhaupt je wieder etwas tun zu können.

Spielt keine Rolle wie es passiert ist.

Samuel Beckett, Der Namenlose

Irgendwo ein Anfang. Eine Verortung, beliebig vielleicht.

Also es fängt damit an, dass ich bei Fisch-Gosch in List auf Sylt stehe und ein Jever aus der Flasche trinke. Fisch-Gosch, das ist eine Fischbude, die deswegen so berühmt ist, weil sie die nördlichste Fischbude Deutschlands ist. Sie steht am obersten Zipfel von Sylt, direkt am Meer, und man denkt, da käme jetzt eine Grenze, aber in Wirklichkeit ist da bloß eine Fischbude.

Christian Kracht, Faserland, 1995

Das Bier ist irgendwie fahl geworden, der Fisch stinkt zum Himmel und doch scheint alles wiederzukehren. Christian Krachts Faserland, eine, meine Verortung, ein zweifelhafter, verzweifelter Versuch der Anschlussfähigkeit, des Schreies nach Verstehen des Unzeitgemäßen. Der ewigen Wiederkehr?

Die Frankfurter Allgmeine Zeitung, FAZ, schrieb einmal über den Autor meiner Anfangssätze, die auch am Anfang seiner Erzählung stehen: „Kracht erzählt vom Ende einer Welt, noch bevor der sogenannte Mainstream überhaupt erkannt hatte, dass es diese Welt gab, geschweige denn, dass sie schon wieder vorbei war.“ Es ist ein Reiben, ein Wundreiben, das eher einem Wundsitzen, einer krampfhaften, fast unverschuldet anmutenden Regungslosigkeit geschuldet scheint.

Das Lob des Eigennutzes, die alte neue Männlichkeit, die Grenzenlosigkeit des Strebens und Forderns, die Begrenztheit der Toleranz und die Ausgrenzung des Anderen.

Die Mitte: weder gefunden, noch angestrebt

Gesetzt, gepoltert, ein Ego, ein Maß aller Dinge, alles andere bloße Marginalität und gut. Der Tsunami kam später, nachher, mittendrin vielleicht? Orientierung im Raum. Folgen der in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und dann in den 90er Jahren zum Totalitarismus aufgeblasenen Spiel des Gewinnens, des Wallstreet-Pokers, der Champagnerflaschen, der Grenzenlosigkeit des Gewinnstrebens, des totalen Neoliberalismus und der Megalomanie.

So überrascht, fast überrannt, ja sprachlos aufs erste, erscheint eine Welt und ihr Lebensgefühl uns wieder gefangen zu nehmen. Eine Welt, die Welt, die sich hier vor uns wiedergebärt, deren Niederkunft wir mitansehen müssen, auch wenn wir sie vielleicht verachten. Was bleibt? Sie ist und bleibt die einzige, die wir nun mal haben.

Reiben uns wund an ihr, an dieser Welt, von der wir am Ende des Tages, wenn wir uns alleine, ganz alleine auf den Weg, den letzten vielleicht machen, wie man erzählt, nichts wollten als Liebe und Glück.

„Bald sind wir in der Mitte des Sees“, so endet Krachts Erzählung. „Schon bald.“  Und wir? Auch wir scheinen mitgerissen zu werden. Es sind die Zentrifugalkräfte aus dem Erdinneren einer Gesellschaft, welche die Zukunft zur Gegenwart gemacht haben. Die das Hoffen, Ersehnen und Erstreben über das faktische Erleben stülpte, die das Gefühl in einer rationalisierten Emotionalität verloren hat. Die zweite, selbstverschuldete (?) Vertreibung, im munteren Treiben des ewigen Spiels vom Schein und Sein.

Wahrlich. Ein Abgesang?!

Die perfektionierte Internationale des eindimensionalen Menschen? In der Mitte des Sees die Ankerpunkte der Fliehkräfte, des Zentrifugalen Ursprungs und Sein: lichternde Bildnisse des Alb: Schröders Brioni Anzüge, Putins nackter Oberkörper auf hohem Ross, Trumps Blondiertheit, Hütchenspieler des Untergangs und unser hilfloses Verharren im kreiselnden Geschleudertsein.

Bedrohung von Außen. Errettung im Untergang. Reduktion auf das Eigene und Lob des allen erweckenden Eigennutzes. Geschuldet dem offenkundigsten Bedürfnis, vorbereitet zu sein. Eine Bewegung am Rande des Abgrundes, Auge in Auge mit der HerausForderung. Unterwerfen wir uns wirklich ein zweites Mal?

Altes West, altes Ost. Für den einen den Anderen. Spielball und Fläche im gemeinsamen Streben für den Osten im Westen, den Westen im Osten: Freunde des ewigen Widerscheins. Unterwerfen wir uns wirklich von Neuem der Produktion von Destruktionsmitteln, der zur Perfektion getriebenen Verschwendung und dem Umstand, dass wir aufs Neue zu einer Verteidigung aufgehetzt werden, welche nicht nur die Verteidiger selbst verunstaltet, sondern auch das, was sie verteidigen?

Die ewige Wiederkehr oder das Schicksal als Chance. Anders sein wird es so oder so. Tun wir das Beste, denn Hoffen war gestern.

Ihr Ulrich B Wagner

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