Der Versuch über das Generationen-Missverständnis

… aus der wöchentlichen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET  – Das Wort zum Freitag“ von Ulrich B Wagner. Nach „Bullshit oder der Versuch über das kollektive Erbrechen“ folgt heute: „Das Medium ist die Massage oder der Versuch über das Generationen-Missverständnis“.

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Wir formen unser Werkzeug und danach formt unser Werkzeug uns.“
Marshall McLuhan, Das Medium ist die Massage

Die Erfindung des Alphabets wird die Lernenden in ihrer Seele vergesslich machen, weil sie dann das Gedächtnis nicht mehr üben; denn im Vertrauen auf die Schrift suchen sie sich durch fremde Zeichen außerhalb, und nicht durch eigene Kraft in ihrem Inneren zu erinnern. … Deinen Schülern verleihst Du aber nur den Schein der Weisheit, nicht die Wahrheit selbst. Sie bekommen nun vieles zu ohne eigentliche Belehrung und meinen nun, vielwissend geworden zu sein, während sie doch meistens unwissend sind …

Platon, Phaidros

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Generation X, Generation Y, was kommt nun, wenn wir demnächst am Ende unseres Alphabets angekommen sind, Generation AA oder was?

Über Generationen, Generationenkonflikte und die Verdorbenheit der Jugend wird seit Menschengedenken philosophiert, gestritten, gelästert und falsch gelegen. Was oder wem bringt dieses ermüdende Fehlgeliege am Ende des Tages überhaupt etwas? Man erinnere sich nur an die „weisen“ Worte des guten alten Sokrates aus der Altgriechisch-Stunde: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“

Die Jugend ist verdorben

Neue Technologien lassen uns verdummen, erzeugen physische und psychische Blessuren, wenn nicht sogar schlimmeres. In deutschen Unternehmen tobt angeblich der blutrünstigste Generationenkrieg aller Zeiten. Alt gegen jung, weise gegen vorlaut. Digital gegen analog. Ein Hauen und ein Stechen ohne Ende, landauf und landab, glaubt man der Presse und ihren Antreibern.

Medien formen uns, sie verändern unser Denken, unser Leben, die Art und Weise des sozialen Miteinanders, unsere Arbeitswelt und unser Arbeitsverständnis. Sie erweitern uns und amputieren uns gleichzeitig. Es gab keinen größeren Denker, Kommunikations- und Medientheoretiker als Marshall McLuhan, der bereits Ende der 50er Jahre vom „globalen Dorf“ sprach, die Vernetzung und irgendwie das Internet vorhersah, als es noch nicht einmal Personal Computer gab. Er war es auch der den Begriff der Erweiterung und der Amputation in den Mediendiskurs einwarf. Eine Tatsache, die schon wie oben gesehen in Platons Phaidron Erwähnung findet.

Unser ganzes Leben ist so durchdrungen von vorgefassten Meinungen und Annahmen, die uns nicht nur unser Denken begrenzen, sondern dem gegenseitig ergänzenden Miteinander wie eine Betonmauer im Wege stehen.

Sind das, was wir am Ende des Tages Generationenkonflikte nennen, nicht einfach nur Anzeichen und Auswirkungen sozialen und/oder technologischen Wandels? Alter ist keine Variable lernte ich irgendwann während meines Psychologiestudiums. Alter ist nur eine Zahl oder wie es die amerikanische Schauspielerin Joan Collins auf den Punkt brachte: „Alter ist irrelevant, es sei denn, du bist eine Flasche Wein.“

Etikettenschwindel Generationenkonflikt

Generationenkonflikte sind meines Erachtens Konflikte von Vorreitern und Nachzüglern veränderter Lebenswirklichkeiten.

Selbstverständlich gehen Jüngere die in einen Techniktrend hineingeboren wurden schneller und müheloser mit dem Neuen um. Doch auch dies gilt nicht für Alle, und wenn, dann auch nur für eine kurze Zeitspanne der Gewöhnung und Anpassung.

Es gibt und gab zu jeder Zeit junge Alte und alte Junge, angepasste Querulanten, mutige Visionäre und Trendsetter. Mit Generationen hat dies wirklich nichts zu tun. Wir benutzen den Begriff der Generation als riesige Schublade, um alles und nichts, veränderte Lebenswelten, Ansichten und Moral darin zu verstauen und einzuordnen. Wobei uns der gut gemeinte Ordnungsfimmel dann am Ende des Tages im Alltag mehr schadet als nützt. Geht es heute in den Unternehmen wirklich um Generationen oder doch nur um die beste Anpassung an die veränderte Wirklichkeit und die veränderte Kommunikation? Es lohnt sich in der Regel manchmal auf der Hinterbühne zu wildern, das Hemd umzudrehen und die Dinge als das zu entlarven was sie sind: Etikettenschwindel!

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Mut zur Alterslosigkeit!

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Über Ulrich B Wagner:

Ulrich B Wagner
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema  „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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