Digitale Transformation – Es fehlt an Mut und Akzeptanz, Fehler machen zu dürfen, und der Wille nach Veränderung – Sascha Zöller im Interview
Sascha Zöller beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Digitalisierung und hat sich auf die Digitale Transformation von Unternehmen spezialisiert.
Herr Zöller, Sie waren dieses Jahr wieder in den USA – noch vor den Wahlen zum neuen US-Präsidenten. Was macht USA anders in Bezug auf die Digitalisierung?
Was sehr deutlich ist, dass in den USA Mut und Risiko viel mehr gefördert wird als bei uns in Deutschland. An der Stelle verwende ich immer gerne ein Beispiel, dass die Situation besser verdeutlicht. In Amerika wird man bereits in jungen Jahren daran erinnert, sich selbst um seine Altersvorsorge zu kümmern. Ein System, wie wir es aus Deutschland kennen, gibt es in den USA nicht. Also wird bereits früh in Aktien und Immobilien investiert und gelehrt, dass man die Dinge selber in die Hand nehmen muss. Hier wird quasi jedem der Grundstein für Mut und Risiko in die Wiege gelegt. Sei mutig und riskiere was. Du kannst scheitern, aber zumindest hast Du es versucht und hast hoffentlich was gelernt.
In Deutschland hingegen haben wir eine gesetzliche Rentenversicherung und private Lebensversicherungen. Wir haben früh gelernt, unsere Zukunft in die Hände anderer zu geben. Eine Unterschrift genügt und wir geben die Verantwortung ab, was mit unserem Einkommen im Rentenalter geschieht. Mut und Risiko wird dadurch nicht gefördert. Diese Grundeinstellung zieht sich bis ins hohe Alter und auch im Berufsleben durch.
Eine Hoffnung bleibt allerdings. Die Generation Y! Das ist die Generation, die selbst neue Ideen entwickelt und das bestehende Wertesystem in Frage stellt. Sie will ihr Leben selbst in die Hand nehmen und gestalten. Aktuell vollzieht sich ein massiver Kulturwandel. Das gibt Hoffnung. Doch diese Hoffnung wird immer wieder sehr stark eingebremst. Denn für diese Förderung benötigt es Investitionen. Aktuell werde diese Investitionen von Menschen verwaltet, die mit gesetzlicher Altersvorsorge und Lebensversicherungen groß geworden sind.
Haben Sie noch weitere Beispiele, die aufzeigen, was in den USA anders läuft?
Ich will eigentlich gar nicht zu sehr auf die USA eingehen. Vielmehr möchte ich Unterschiede aufzeigen, wie sich Branchen verändern mit und durch die Digitalisierung. Nehmen wir zum Beispiel die Automobilbranche. Als Tesla Motors 2008 sein erstes Auto mit Elektroantrieb auf den Markt gebracht hat, wurde dieses Auto nur mit Spott und Häme überzogen. Heute, im Jahre 2016, wird das Konzept, Autos mit 100%igen Elektroantrieb von allen Premium- und Massenhersteller der Automobilbrache akzeptiert und in Teilen sogar nachgeahmt und kopiert. Viel besser ist noch, dass der Automobilkunde nach diesem Konzept verlangt. Die bekannten Premiumhersteller können aktuell keine vergleichbaren Produkte und Erfahrung in diesem Bereich anbieten. Außer Ankündigungen und Studien kann nicht Belastbares vorgelegt werden. Hier sieht man den Unterschied der Kulturen. Elon Musk (CEO von Tesla Motors) hatte eine Vision und arbeitet hart daran, diese in die Realität umzusetzen. Wie macht er das? Er bringt in kürzester Zeit ein Produkt auf die Straße und lernt von und mit seinen Kunden. Er sammelt Daten und Informationen. Mit diesen gewonnenen Daten entwickelt er das bestehende Produkt an Hand der Kundenwünsche weiter – vom Roadster zum Model S und aktuell zum SUV X. In der Pipeline steht bereits ein Auto für unter 35.000 US Dollar. Das ist der Wunsch seiner Kunden.
In Deutschland hingegen ist es noch so, dass an vielen Produkten im Stillen und im Verborgenen gearbeitet wird. Dabei wird der Kunde und das Nutzenversprechen völlig vernachlässigt. Ein direkter Austausch mit dem Kunden findet nicht statt.
Persönlich habe ich das Gefühl, das deutsche Unternehmen fast schon Angst vom Kundenfeedback haben. Man will immer ein perfektes Produkt anbieten und alle Kunden glücklich machen. In Deutschland wird auch gerne angeführt, dass diese neuen Start-Up-Unternehmen, wie Uber, airbnb, zalando und so weiter, hoch verschuldet sind und keine Gewinne abwerfen. Diese Denkweise ist nicht angebracht und kommt meiner Erkenntnis nach auch nur in Deutschland vor. Richtig wäre es, darauf zu achten, welche Erfolge in der Kürze der Zeit bereits erreicht wurden. Was ist, wenn diese Geschwindigkeit weiter anhält oder im schlimmsten Fall noch gesteigert wird? Ist mein eigenes Unternehmen darauf vorbereitet? Wenn Sie so wollen, vorbereitet auf die Digitale Transformation!
Wie meinen Sie das?
Bleiben wir in der Automobilbranche. Nehmen wir weiter das Beispiel Tesla Motors. Autonomes Autofahren wurde per Softwareupdate – ohne Werkstattbesuch, nur per mobiler Datenübertragung – aufgespielt. Durch dieses Update ist autonomes Fahren (hier muss sicherlich noch genauer an der allgemeinen Definition gearbeitet werden) „über Nacht“ zur Realität geworden. Jetzt nehmen wir weiter an, dass diese Technologie in fünf Jahren „Standard“ in jedem Automobil wird. Egal, ob für Autos mit Verbrennung- oder Elektromotoren. Welchen massiven Einfluss nimmt diese Technologie auf das heute bestehende Ökosystem?
In Verbindung mit Carsharing würde es keine Notwendigkeit mehr geben, mehrere Autos besitzen zu wollen. Autonom fahrende Autos können per App bestellt und an jeden Ort hinbestellt werden. Ähnlich wie heute ein Taxi. Die Taxiindustrie ist Verlierer dieser Technologie, die bereits seit Uber massiver Veränderung unterliegt. Diese Branche würde faktisch komplett aussterben. Ein menschlicher Taxifahrer ist dann nicht mehr notwendig.
Die Anzahl der Autounfälle würden massiv zurückgehen, da diese autonomen Fahrzeuge untereinander vernetzt wären und ständig untereinander kommunizieren. So können mögliche Unfälle frühzeitig erkannt und verhindert werden. Die Einnahmen der Versicherungsindustrie durch die Policen würde drastisch sinken, da weniger Unfälle passieren und somit die Beiträger stark unter Druck geraten.
Wenn weniger Autos genutzt werden und weniger Unfälle passieren, werden in Zukunft weniger Werkstätten benötigt. Und somit wird auch die Zulieferindustrie und die Automobilhändler ihre Geschäftsmodelle überdenken müssen. Sie sehen wie weitreichend die Einführung einer neuen digitalen Technologie sein kann. Hier war es ein „Software-Update“ über Nacht, das letztlich eine komplette Industrie und angeschlossene Branchen revolutioniert.
Sind das denn nicht nur Zukunftsszenarien? Wie weit sind wir hier noch von der Realität entfernt?
Aus meiner Sicht wird es keine fünf Jahre mehr andauern, bis wir die oben skizzierte Zukunft in unseren Alltag integriert haben. Sobald der Konsument für sich einen Mehrwert und einen deutlich höheren Nutzen feststellt, will er das Produkt oder die Dienstleistung nutzen wollen. Die Königsklasse ist, wenn Konsumenten von diesem Mehrwert so begeistert sind, dass Sie selber zum Fan werden. Und Fans sind bekanntlich die besten Nutzer, denn Sie berichten immer und überall darüber.
Sie denken, das wird es so nicht geben! Gibt es heute bereits. Facebook, ist so entstanden. Facebook, Google, WhatsApp, airbnb, Pokemon und Co. wurden dadurch erfolgreich, weil Konsumenten den persönlichen Nutzen und Mehrwert für sich erkannt und darüber berichtet haben. So funktioniert die Kommunikation der heutigen, neuen Unternehmen. Sie sind dort präsent, wo Ihre Kunden sind – im digitalen Raum. Dies ist ein massiver Kulturwandel, der von der älteren Generation kaum nach zu vollziehen ist.
Was denken Sie, muss sich ändern, damit wir hier in Deutschland durch die Digitale Transformation nicht den internationalen Anschluss verlieren?
Für mich kristallisieren sich immer wieder drei Kernaussagen aus all meinen Gesprächen heraus. Es fehlt an Mut, ein Raum für Fehler und der starke Wille nach Weiterentwicklung. Meiner Meinung nach haben wir den Mut verloren. Alle, und ich meine wirklich alle Unternehmer, die die Verantwortung für Produkte/Dienstleistungen, Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten übernommen haben, sind beziehungsweise waren sehr mutig. Sie hatten ein Ziel, dass Sie unter allen Umständen erreichen wollten. Über Fehler haben Sie sich keine Gedanken gemacht. Sie haben einfach angefangen. Den ersten Schritt gemacht und danach den zweiten und so weiter. Wären Sie heute an gleicher Stelle, könnten Sie nicht die gleiche Willenskraft erbringen. Heute ist alles ungleich komplexer und transparenter. Das ganze Leben lässt Dinge schneller und weniger intensiv erleben.
Können Sie dies bitte genauer beschreiben?
Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass wir in den kommenden Jahren circa 48% aller Jobs automatisieren können. Das heißt, keine lästige Routinearbeit mehr. Dies soll in Zukunft die Digitalisierung durch Automatisierung erledigen. Der Mensch soll sich den eigentlichen Aufgaben widmen, die eben nicht automatisiert werden kann. So sind auch Berufsgruppen wie Steuerfachgehilfen oder Versicherungsmakler in Gefahr, da diese Aufgaben mittlerweile zu einem großen Teil automatisiert werden können.
Was raten Sie Unternehmer, die den Mut haben etwas verändern zu wollen?
Zunächst geht es darum, zu erkennen, dass der Unternehmer diese Rolle selber in die Hand nehmen muss. Sobald sich dieser seiner Verantwortung bewusst ist, geht es in einem weiteren Schritt Wissen, Inspiration und Innovation um sich herum zu bilden. Dabei ist es wichtig, zu erkennen, dass kein persönliches Wissen anzueignen ist, sondern ein Verständnis geschaffen werden muss, wie in Zukunft Dinge anzugehen sind. Auf dieser Grundlage werden Ziel mit einem konkreten messbaren Nutzen erstellt und umgesetzt. Die meisten machen den Fehler, dass sie Dinge schnell machen, ohne jedoch einen klaren Nutzen zu verfolgen. Als Beispiel nehme ich hier gerne den Malermeister, der einen Facebook- und Instagram-Account besitzt, diese aber nicht regelmäßig mit zielgerichteten Inhalt befüllt. Somit verpuffen jeden Tag Chancen, sich als Maler mit seinen Fähigkeiten zu präsentieren. Regelmäßige Vorher-/Nachher-Bilder auf Facebook oder Instagram ist ein einfaches und kostengünstiges Marketingwerkzeug. Doch auch hier müssen Ziel, Nutzen, Zielgruppe und Verantwortliche für die Umsetzung definiert werden.
Unternehmer und Angestellte sollten die Digitale Transformation als Aufbruch in eine neue Ära verstehen. Am Anfang fühlt sich alles noch sehr unwohl an. Es werden Fehler gemacht und Erfahrungen gesammelt. Mit der Zeit und der Erfahrung wächst das Vertrauen und auch die positiven Rückmeldung wachsen.
Bei der Umsetzung einer digitalen Transformationsstrategie gibt es keinen vorgeschriebenen Weg. Jeder einzelne Schritt ist eine Reise.
Herr Zöller, vielen Dank für die interessanten Ausführungen und der sehr greifbaren Beispiele. Wie man sieht, schreitet die Digitale Transformation unaufhörlich voran. Es wird also Zeit, dass Unternehmen sich dieser Aufgabe stellen und für sich den richtigen Weg gehen.
Das Interview führte Oliver Foitzik, Geschäftsführer der FOMACO GmbH und Herausgeber des Wirtschafts- und Mittelstandsmagazins AGITANO.
Zu Sascha Zöller
Sascha Zöller ist seit fast 20 Jahren bei nationalen und internationalen Unternehmen als Experte gefragt. Sein Schwerpunkt ist die Veränderung durch und mit IT-gestützten Technologien. Damals hatte man noch keinen Namen dafür. Heute wird es Digitale Transformation genannt. Seit 2013 begeistert er als Redner sein Publikum – durch seinen durch Beispielen und Metaphern geprägten Vortragsstil. Dabei schafft er es, komplexe und abstrakte Zusammenhänge einfach und deutliche darzustellen und einen Aha-Effekte bei jedem einzelnen Zuschauer auszulösen.
Weitere Informationen über Sascha Zöller finden Sie auf seiner Seite www.saschazoeller.de.