Gichtgas – Gewinnung und Nutzen

Energiegewinnung und -nutzung ist ein Dauerthema, das im Hinblick auf umweltpolitische Entwicklungen immer mehr Brisanz gewinnt. Insofern ist es interessant, sich mit Brennstoffen auseinander zu setzen, die womöglich bislang unbekanntes Potenzial mitbringen. Der folgende Beitrag fokussiert sich auf Fragen rund um Gichtgas, wie dieses nutzbar gemacht werden und welche Auswirkungen es beispielsweise auf die Gesundheit haben kann. Der Text endet mit einigen Informationen, worauf es beim Betreiben von Hochöfen etwa in puncto Sicherheit und effizienter Nutzung ankommt.

Was ist Gichtgas und bei welchen Prozessen entsteht es?

Zur Verhüttung von Eisenerz in einem modernen Hochofen müssen Temperaturen im Bereich 1.300 bis 1.500 Grad Celsius erreicht werden, um aus den Eisenoxiden, aus denen sich Eisenerz zusammensetzt, metallisches Eisen zu gewinnen. Es reicht aber nicht aus, Eisenerz zu verflüssigen, sondern gleichzeitig müssen die Eisenoxide reduziert werden, damit metallisches Eisen entstehen kann. Die kontinuierliche Beschickung eines Hochofens besteht daher aus sich abwechselnden Schichten von

  • Koks als Brennmaterial
  • Eisenerz in Form kleiner Pellets
  • Zuschlagstoffen wie Quarzsand, Kalk und anderen Stoffen als Reduktionsmittel.

Die notwendige Sauerstoffzufuhr erfolgt über das Einblasen vorgeheizter Luft, sodass im Hochofen ein kontinuierlicher Verbrennungsprozess in Gang gehalten wird. Die eingeblasene Luft tritt am oberen Schachtende des Hochofens an der Beschickungsöffnung – Gicht genannt – als sogenanntes Gichtgas wieder aus. Das Gichtgas ist sozusagen das Abgas des Hochofens. Allerdings wird es nicht in die Umwelt entlassen, sondern wird direkt an der Austrittsstelle abgefangen und nach Aufbereitung weiterverwendet.

Aus welchen Gasen setzt sich Gichtgas zusammen?

Es steht zu erwarten, dass der Sauerstoff der in den Hochofen eingeblasenen Luft bei der Verbrennung des Brennstoffs – meist Koks – verbraucht wird und dass das als Gichtgas austretende Gasgemisch mit Kohlenstoffdioxid angereichert ist. Allerdings reicht der Sauerstoff in der eingeblasenen Luft nicht für eine vollständige Oxidierung (Verbrennung) des Kohlenstoffs im Koks aus, sodass es teilweise zu einer unvollständigen Verbrennung – ähnlich wie bei einem Schwelbrand unter Sauerstoffarmut – kommt und ein beträchtlicher Anteil an Kohlenstoffmonoxid entsteht. Durch Reduktion der Eisenoxide mittels Kohlenstoff unter Energiezufuhr entsteht zusätzliches Kohlenstoffdioxid. Das Gichtgas enthält beim Austritt aus dem Hochofen im Mittel 20 bis 25 Prozent Kohlenstoffdioxid (CO2) und 20 bis 30 Prozent Kohlenstoffmonoxid (CO), das brennbar ist und unter Zufuhr von Luftsauerstoff zu Kohlenstoffdioxid verbrannt werden kann.

Als weitere brennbare Gaskomponente ist noch molekularer Wasserstoff (H2) in der Größenordnung von zwei bis vier Prozent enthalten. Die restlichen Volumenanteile des Gichtgases in Höhe von 45 bis 60 Prozent bestehen hauptsächlich aus molekularem Stickstoff (N2).

Gichtgas und die Umwelt

Der hohe Anteil von CO2 im Gichtgas erhöht sich noch durch die Nutzung des Gases als Brenngas, denn das enthaltene, für den Menschen extrem giftige Kohlenstoffmonoxid wird zu CO2 oxidiert. Im Gegensatz zu Kohlenstoffmonoxid ist CO2 in Konzentrationen unter etwa zehn Prozent zwar nicht giftig, ist aber aus umweltpolitischer Sicht als eines der wichtigsten Treibhausgase ein problematisches Gas.

Im Hochofenprozess werden im europäischen Mittel 1,63 t CO2 je Tonne Stahl in die Umwelt entlassen. Zur Einführung des CO2-Emissionshandels legte die EU 2010 als Benchmark 1,33 t CO2 je Tonne erzeugten Stahls fest und nahm damit ein mögliches CO2-Reduktionspotenzial von etwa 20 Prozent durch Prozessoptimierung vorweg. Neben den Bestrebungen, bei der Roheisenerzeugung aus Eisenerz weniger CO2 zu produzieren, werden auch CCS-Technologien erprobt. CCS steht für Carbon Capture and Storage, also für Abscheidung und dauerhafte Endlagerung von CO2.

Alle bisher bekannten Techniken beruhen darauf, dass beispielsweise das in der Hüttentechnik oder in Kraftwerken mit Verfeuerung fossiler Brennstoffe wie Kohle oder Öl anfallende CO2 zunächst aus den Abgasen abgeschieden wird. Das abgeschiedene Gas mit einem möglichst hohen Gehalt an CO2 soll dann in für geeignet gehaltene geologische Formationen verpresst werden. Die bisher bekannten Technologien sind noch nicht hinreichend erprobt, und es bestehen Bedenken, ob die als dauerhaft angelegte Endlagerung von CO2 die Erwartungen hinsichtlich Sicherheit in puncto Dichtigkeit und Dauerhaftigkeit erfüllen können.

Warum ist das Gichtgasgemisch unmittelbar gefährlich?

Es ist vor allem das im Gichtgas in hoher Konzentration enthaltene Kohlenstoffmonoxid, das für den Menschen und für alle Säugetiere extrem giftig ist. Die Giftigkeit beruht auf der starken Affinität des Gases zu Hämoglobin, unserem roten Blutfarbstoff, der normalerweise in den Lungenbläschen Sauerstoff aufnimmt und CO2 abgibt. Die Bindungsaffinität von CO zum Hämoglobin ist etwa 300 Mal stärker als die von Sauerstoff. Das bedeutet, dass Kohlenstoffmonoxid den Sauerstoff aus dem Hämoglobin verdrängt und die Sauerstoffversorgung im Körper nicht mehr stattfinden kann.

Kohlenstoffmonoxid ist farb- und geruchlos, was das Gas besonders tückisch macht. Eine Konzentration von nur 0,08 Prozent in der Atemluft führt bereits innerhalb von 45 Minuten zu ernsthaften Symptomen wie Übelkeit, Schwindel und Muskelreaktionen. Eine Konzentration von 1,28 Prozent in der eingeatmeten Luft hat innerhalb von ein bis drei Minuten Bewusstlosigkeit und Tod zur Folge. In Deutschland besteht sogar eine Meldepflicht für Kohlenstoffmonoxidvergiftungen.

Warum kann auch Kohlenstoffdioxid gefährlich werden?

Auch das im Gichtgas in hoher Konzentration enthaltene CO2 kann für uns problematisch und unmittelbar gefährlich werden, obwohl es in geringen Konzentrationen nicht giftig ist. Der Anteil an CO2 in der Luft beträgt etwa 0,04 Prozent und kann in geschlossenen Räumen auf Werte um 0,14 Prozent ansteigen. Die Qualität der Raumluft wird dann als niedrig bezeichnet. Die maximal erlaubte Konzentration von Kohlenstoffdioxid am Arbeitsplatz beträgt 5.000 ppm (parts per million), was 0,5 Prozent entspricht. Erst bei der zehnfachen Konzentration, also bei fünf Prozent treten gesundheitliche Symptome auf, und Konzentrationen von über acht Prozent CO2 in der Atemluft führen innerhalb 30 bis 60 Minuten zum Tod.

Für Kohlenstoffdioxid ist die häufig bemühte Aussage von Paracelsus besonders zutreffend, dass allein die Dosis entscheidend ist, ob ein Stoff Gift ist oder nicht. Kohlenstoffdioxid ist wie das Kohlenstoffmonoxid farb- und geruchlos. Es ist zudem spezifisch schwerer als Stickstoff und sinkt zum Beispiel in Behältern nach unten, sodass hohe, lebensgefährliche Konzentrationen erreicht werden können.

Gichtgas ist zwar in erster Linie aufgrund seines hohen CO-Gehalts lebensgefährlich, aber auch der hohe CO2-Gehalt kann in bestimmten Situationen im Falle eines Lecks im System zu lebensgefährlich hohen Konzentrationen am Boden führen, ohne dass das Problem bemerkt wird.

Wie kann das Gichtgas aufbereitet und genutzt werden?

Gichtgas ist einerseits sehr heiß, wenn es an der Gicht austritt, und es hat durch seinen hohen Anteil an Kohlenstoffmonoxid und dem geringen Anteil an molekularem Wasserstoff (H2) einen Restbrennwert. Der ist allerdings mit 3,35 bis 4 MJ/cbm (Megajoule pro Kubikmeter) relativ gering. Im Vergleich dazu weist Erdgas einen Brennwert von 36 bis 50 MJ/cbm auf. Da das Gichtgas nicht einfach an die Umwelt abgegeben werden kann, erweist es sich als Vorteil, dass jeder Hochofen über ein System von Winderhitzern verfügt. Dieses bringt die Luft vor Einblasen in den Hochofen auf hohe Temperaturen, um den Wirkungsgrad zu erhöhen. Für diesen Einsatz ist das Gichtgas deshalb praktisch am Ort der Entstehung nutzbar.

Das Gas ist beim Austritt aus der Gicht stark mit Staub und Schwebstoffen belastet, sodass es zunächst von Schwebstoffen gereinigt oder gewaschen werden muss, bevor es seiner geplanten Verwendung zugeführt werden kann. Einige Hüttenwerke nutzen das gereinigte Gas auch zur Erzeugung von Prozessdampf, mit dem Turbinen zur Stromerzeugung angetrieben werden. Bei allen Verwendungen, bei denen das Gichtgas als Brennstoff zum Einsatz kommt, wird das vorher vorhandene CO zu CO2 oxidiert, sodass die unmittelbare Toxizität des Gases sehr stark reduziert wird. Dennoch bleibt das Gas mit seinem jetzt noch höheren Anteil an CO2 umweltproblematisch, und eine Leckage im System könnte zum Austritt größerer Mengen an CO2 führen, das für den Menschen unmittelbar gefährlich werden kann.

Stationäre Fackelanlagen dienen der Sicherheit

Wie eingangs erwähnt, darf Gichtgas aufgrund seiner Toxizität nicht einfach in die Umwelt entlassen werden. Der Einsatz des Gases in Winderhitzern oder für andere Zwecke ist immer mit einer Nachverbrennung des Kohlenstoffmonoxids und des molekularen Wasserstoffs verbunden. Das CO soll während der Verbrennungsreaktion mit zugeführtem Luftsauerstoff möglichst vollständig in CO2 umgewandelt werden, damit das Gas seine unmittelbare Giftigkeit verliert.

Nach dem Abfangen des Gases an der Gicht wird es in einem geschlossenen System zunächst von Schwebstoffen befreit und anschließend der vorgesehenen Verwendung zugeführt. Wenn die Menge an abgefangenem Gas und der „Verbrauch“ nicht im Einklang miteinander stehen, kann es zu Druckschwankungen in der Gasführung kommen, die ein Sicherheitsventil gegen einen zu hohen Druck erfordern. Um zu vermeiden, dass dann Gichtgas in der ursprünglichen Zusammensetzung in die Umwelt gelangt, bieten stationäre Fackelanlagen die Möglichkeit, das Gas zu verbrennen, um so das CO in CO2 zu verwandeln. In diesem Fall wird die dabei anfallende Verbrennungsenergie allerdings nicht genutzt.

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?