… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.
Heute: Machos, Macher, Siegertypen…
Über Fußball und Management,
oder die Welt verändert sich, und wir verändern uns mit ihr.
Nur Persönlichkeiten bewegen die Welt, niemals Prinzipien.
Oscar Wilde
Die Wahrheit ist, dass die Leute alles durch die Brille ihrer Zeitungen sehen, und wie könnte es anders sein, da sie ja persönlich weder von den betreffenden Persönlichkeiten noch Ereignissen Kenntnis haben.
Marcel Proust
Es sollte eine Neuauflage des Sommermärchens 2006 unter anderen Vorzeichen werden, die diesjährige Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. Doch letzte Woche in Warschau schloss sich der Kreis. Wie bereits 2006 schied die deutsche Nationalmannschaft gegen den Angstgegner Italien im Halbfinale aus. Eine bittere Pille nicht nur für den Bundestrainer nach dem Ausscheiden gegen Spanien 2008 im Finale der EM und im Halbfinale der WM 2010.
Landauf und landab war jedoch häufig nicht nur die Enttäuschung enorm groß, sondern auch die Entrüstung, die Häme und die Welle der Besserwisserei. Bereits im Anschluss des Halbfinales kam beispielsweise in Waldis Presseclub die Frage auf, warum Deutschland einfach keinen Balotelli in seinen Reihen hat. Einen wen, bitteschön? Einen Mario Balotelli, über den sein ehemaliger Trainer Jose Mourinho sagte: „Er könnte einer der besten Fußballer der Welt werden. Doch leider macht er manchmal den Eindruck, als verfüge er nur über eine einzige Gehirnzelle.“ Immerhin, möchte man bei diesem Spieler, der sein Brot in Manchester United verdient und im Finale gegen Spanien eher blass und ratlos aussah, fast einwenden. Sei’s drum. #
Und doch wird allen Ernstes auch in unseren Landen der Ruf wird wieder laut nach den Machos, den Rebellen und Straßenfußballern, den Effenbergs, Ballacks und Mario Baslers dieser Welt. Vergessen und in Grund und Asche geredet scheinen die Vorzüge des Teamgeists, der flachen Hierarchien, des effizienten Mannschaftsspiels und der Entzauberung von Autoritäten, wie es ein Kollege von mir in Bezug auf die neuen Führungskräfte in deutschen Großunternehmen einmal auf den Punkt brachte.
Die Zeiten ändern sich nun mal, und wir uns mit Ihnen, wie ich bereits einführend betonte. Dies gilt nicht nur im Fußball, sondern auch in der Wirtschaft. Das Spiel hat sich grundlegend verändert: Es ist extrem schneller geworden, komplexer im Aufbau und der Struktur, aber auch vergleichbarer. Große althergebrachte Unterschiede, wie Wissen, Technik oder Strategie, wurden im Laufe der letzten Jahre fortlaufend nivelliert.
Es ist die Zeit der Teamplayer, der Beta-Buben (wie DIE ZEIT sie in der Ausgabe No.27 bezeichnete), der Angepassten und der Stillen. Ist dies wirklich so? Helfen diese Konzepte des bloß nicht unangenehm auffallen, des auf Nummer sicher gehen, der Angst vor der Eigeninitiative und -verantwortung, der vermeintlichen Gleichschaltung auch in Krisenzeiten, in denen es halt nicht nach Plan B läuft, in denen der Gegner zum Angstgegner mutiert und zur alles lähmenden Bedrohung anzuwachsen scheint? Brauchen wir deshalb wirklich postwendend wieder testosterongeschwängerte Alphamännchen? Ich denke NEIN!
In Bezug auf die Wirtschaftswelt schrieb DIE ZEIT: „Die Alpha-Chefs von früher neigten vielleicht zur Selbstüberschätzung, aber sie hatten genug Charisma, um die Mitarbeiter hinter sich zu versammeln. Bei den heutigen Beta-Chefs ist es gerade umgekehrt. Sie führen mit Pragmatismus, nicht mit Pathos. Sie sind gnadenlos effizient, aber sie tun sich nicht leicht, wenn es einmal schwierig wird. In Zeiten, in denen nicht nur Expertise gefragt ist, sondern auch Esprit. In denen das Unternehmen eine Perspektive braucht, die länger währt als die Verweildauer der neuen Chefs im Amt. Und so sind sich beide Typen in einem doch ähnlich: Sie verändern sich nicht – und stoßen über kurz oder lang an die eigenen Grenzen“ (DIE ZEIT, Die Super-Männchen, 28.06.2012).
Oder anders herum: Sie sind limitiert, weil sie keine echten Persönlichkeiten sind. Die einen nicht, weil sie nicht genügend Größe besitzen, auch andere glänzen zu lassen, und die Anderen nicht, weil sie im entscheidenden Moment nicht in der Lage sind, umzuschalten, auf den Tisch zu hauen oder die Fäden in die eigenen Hände zu nehmen, um mit ihrem Esprit und ihrem Siegeswillen den Rest des Teams mitzureißen.
Und das gilt sowohl im Wirtschaftsleben, als auch im Fußball. Ohne echte Persönlichkeiten läuft langfristig einfach nichts.
Der alte Haudegen Günter Netzer brachte es in seiner unvergleichlichen Art für eine große deutsche Boulevardzeitung für den Fußball wie folgt auf den Punkt: „Viele Trainer loben eine flache Hierarchie. Und fördern damit die Gleichmacherei. Dadurch können sich keine herausragenden Persönlichkeiten entwickeln (sic! Anmerkung des Kolumnisten). Aber jede herausragende Mannschaft in der Geschichte des Fußballs hat herausragende Persönlichkeiten gehabt. Spieler, die sich in der Not verantwortlich zeigen, die vorangehen, Präsenz und Leistung vorweisen, eine Richtung vorgeben und mitreißen… Was ich strikt ablehne, sind übertriebener Egoismus oder Personenkult. Das ist destruktiv. Diese Spieler müssen ihre große Klasse zum Wohle der Mannschaft ausüben“ (BILD AM SONNTAG, 01.07.2012).
Persönlichkeiten fallen jedoch leider nicht wie Manna vom Himmel oder können so mir nichts dir nichts gebacken werden. Sie müssen sich entwickeln. Hierfür bedarf es Raum, Mut und Vertrauen der entsprechenden Verantwortlichen (Jogi Löw besitzt meines Erachtens diese Qualitäten und darüber hinaus auch noch das notwendige Charisma, auch wenn es diesmal wieder nicht geklappt hat), aber auch Zeit, sowie ein Umdenken an unseren Schulen (Fußballschulen eingeschlossen), Universitäten und Unternehmen oder wie es Nietzsche einmal auf den Punkt brachte: Die Schule soll stets danach trachten, dass der junge Mensch sie als harmonische Persönlichkeit verlasse, nicht als Spezialist.
In diesem Sinne wünsche ich uns Allen wieder mehr echte und harmonische Persönlichkeiten.
Herzlichst
Ihr Ulrich B Wagner
Zum Autor:
Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.
Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.
Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.
Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).