Nichts für Feiglinge

An Verbesserungsprozessen im Unternehmen kann der Kunde aktiv mitwirken und so zum Ideengeber, Innovationstreiber und kostenlosen Unternehmensberater werden. Bei klassischen Kundenbefragungen passiert allerdings höchstens eins: Er wird zum Kreuzchenmacher abqualifiziert.

 

Nach der ersten Inspektion meines neuen Autos ging ein Callcenter Agent mit mir mal telefonisch einen Fragenkatalog durch. Sein Ziel: Kreuzchen zwischen sehr gut und mangelhaft zu verteilen. Ich war nicht sehr zufrieden gewesen. Auf meinen Hinweis, ein ‚ausreichend‘ sage nichts konkretes aus, viel interessanter sei doch wohl, weshalb meine Bewertung so weit unten ist, damit man was draus lernen könne, kam die Antwort: Für detaillierte Bemerkungen sei kein Platz, ich solle meine Meinung sagen, er würde die Kreuzchen dann sinngemäß machen. Alles klar? So wird man, obwohl man wertvolle Impulse geben könnte, zum reinen Datenlieferanten degradiert.

 

Oder das: In vielen Hotels findet man irgendwann, irgendwo einen Fragebogen: lieblos, öde, austauschbar – weil abgeschrieben von jemandem, der auch Fragebögen macht. Das Ausfüllen ist langweilig und langwierig. Kein Wunder, dass die Rücklaufquoten gering und die Ergebnisse beliebig sind. Welche Einsicht ist schon gewonnen, wenn überall – weil man sich als Gast das Leben leicht machen will – ein ‚gut‘ angekreuzt wird? Und selbst, wenn fast alle Gäste zufrieden sind, so ist das keine Zukunftsgarantie. Denn Zufriedenheit und Loyalität korrelieren nicht. Wer ‚nur‘ zufrieden ist, zieht heutzutage lautlos von dannen. Er macht sich auf die Suche nach besserem. Niemand will heute ‚nur‘ Mittelmaß kaufen.

 

Von Angesicht zu Angesicht

 

Schriftliche Kundenbefragungen sind etwas für Unternehmen mit riesigen Kundenbeständen – oder für Feiglinge. Wer dem Kunden einen Fragebogen schickt, braucht ihm nicht ins Gesicht zu schauen, wenn dieser seinen Erfahrungsbericht präsentiert. OK, der ein oder andere mag geneigt sein, sein Missfallen lieber anonym kundzutun. Doch gerade die so wichtigen emotionalen Aspekte können durch schriftliche Befragungen kaum offen gelegt werden. Was man schriftlich von sich gibt, soll schließlich vernünftig klingen. Um den wahren Gründen auf die Spur zu kommen, helfen mündliche Befragungen und – besser noch – Beobachtungen, verbunden mit neuronalem, psychologischem und anthropologischem Wissen, deutlich weiter.

 

Die wichtigsten Impulsgeber für das Innovieren und Fortbestehen eines Unternehmens sind nämlich nicht Marktforschung und Benchmarking, sondern Mitarbeiter und Kunden. Also: Stellen Sie ausgewählten Kunden öfter mal ein paar kluge Fragen, zum Beispiel so: „Nur mal angenommen, Sie wären bei uns Marketingleiter, was würden Sie schleunigst ändern?“ Oder: „Nur mal angenommen, Sie hätten bei uns Vertriebsverantwortung, was würden Sie als Erstes verbessern?“ Und fragen Sie das gleiche die Mitarbeiter. Das wertvollste Kundenwissen sitzt oft an den Rändern einer Organisation – und dort in erster Linie bei den stillen, lieben und netten Leuten. Denn wenn Kunden ihren Unmut äußern, dann tun sie es vor allem bei diesen.

 

Hautnah am Kunden

 

Bei IBM werden laut einer internen Studie bereits 39 Prozent aller Ideen von Kunden und Partnern beigesteuert, 41 Prozent kommen von den Mitarbeitern. Bei Ikea sitzen die Führungskräfte samstags, wenn also richtig was los ist, mit an der Kasse. So erfahren sie ‚en passant‘, was Sache ist. Von Michael Dell, dem Gründer des Online-Computeranbieters Dell wird erzählt, dass er sich im Internet-Chat mit seinen Kunden oft als einfacher Mitarbeiter ausgab, um unverfälschte Meinungen zu bekommen. Und von Rich Teerlink, Harley Davidson CEO von 1989 bis 1997, weiß man, dass er bei Harley-Owners-Treffen den Bikern Würstchen grillte und die Maschinen polierte, um hautnah soviel wie möglich von ihnen zu erfahren.

 

Wenn dies alles funktioniert, dann stellt sich jedem Verantwortlichen im Unternehmen die Aufgabe, kollektive Intelligenz in seinen Bereich einfließen zu lassen – ob er will oder nicht. So lässt sich der Kunde entlang der gesamten Wertschöpfungskette mehr oder weniger aktiv in Arbeits- und Gestaltungsprozesse einbeziehen, er initiiert, beschleunigt, bereichert, verändert oder stoppt. Über Gespräche, Tests, Verbesserungsvorschläge und Kritiken liefert er wichtige Indikatoren, wie unternehmerische Leistungen kundenspezifisch weiterentwickelt werden können, sollen und müssen.

 

Meine Lieblingsfrage in diesem Zusammenhang ist übrigens die ‚Gewissensfrage‘. Und die geht so:

„Stellen Sie sich mal vor, Sie wären unser Unternehmensgewissen. Was würden Sie uns sagen?“

 

 

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Das Buch zum Thema:

Kunden auf der Flucht? Wie Sie loyale Kunden gewinnen und halten

Orell Füssli 2010, 208 Seiten, ISBN 978-3-280-05382-9

Ausgezeichnet von Managementbuch.de als Testsieger in der Kategorie Kundenbindung

Fan-Seite auf Facebook: http://facebook.loyalitaetsmarketing.com

 

Das Hörbuch zum Thema:

Treue Kunden gewinnen und dauerhaft halten

Die 25 wertvollsten Erfolgsrezepte für Kundenloyalität und Bestandskundenpflege

Breuer & Wardin, 1 CD, 70 Min., ISBN: 978-3-939621-85-0

 

 

 

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Zur Autorin

Anne M. Schüller ist Management-Consultant und gilt als führende Expertin für Loyalitätsmarketing. Über 20 Jahre lang hat sie in leitenden Vertriebs- und Marketingpositionen internationaler Dienstleistungsunternehmen gearbeitet und dabei mehrere Auszeichnungen erhalten. Die Diplom-Betriebswirtin und neunfache Buchautorin gehört zu den gefragtesten Keynote-Rednern im deutschsprachigen Raum. Sie arbeitet auch als Business-Trainerin und lehrt an mehreren Hochschulen. Sie gehört zum Kreis der ‚Excellent-Speakers‘. Zu ihren Kunden zählt die Elite der Wirtschaft. Kontakt:

www.anneschueller.de


 

 

 

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