Über Risikokultur und Kulturrisiko

Worin besteht der Unterschied zwischen komplexen und komplizierten Situationen? Während komplizierte Vorhaben langwierige und detaillierte Planung erfordern, brauchen komplexe Projekte vor allem Flexibilität. Was noch hinzu kommt: Eine offene Risikokultur ist die beste Möglichkeit, um Risiken schon früh zu erkennen und auszuschalten. Denn wenn die Risikokultur aus Kopf-in-den-Sand-Stecken besteht, dann wird die Risikokultur schnell zum Kulturrisiko.

In seinem heutigen Beitrag zur Themenserie „Entschlossen – Erfolgreich – Entscheiden“ zeigt Thomas Wuttke, was eine günstige Risikokultur ausmacht.

 

Weniger Planung, mehr Flexibilität

Aber worauf fußen dann die Entscheidungen, die zu treffen sind? Wenn eine detailreiche Planung nicht wirklich hilfreich ist, was ist es denn dann? Die Antwort ist fast zu simpel: Weniger Planung, mehr Flexibilität und sehr bewusster Umgang mit Unsicherheiten. Unsicherheiten auf dem Weg zu den Zielen, die es zu erreichen gilt, werden Risiken genannt. Das ist übrigens die offizielle ISO-Definition. Damit ist das Management von Risiken also gleichbedeutend mit dem Management von Unsicherheiten. Ein großes Risiko ist also eine große Unsicherheit in Bezug auf die Erreichung eines Ziels. Und wenn diese Unsicherheit im Vorfeld bekannt ist, kann schon etwas unternommen werden, um diese Ungewissheit abzuschwächen.

Risikokultur ist entscheidend

So weit, so gut. Wenn da nicht ein gewisser psychologischer Effekt wäre. Zu oft wird leider der offene Umgang mit Unsicherheiten als Führungsschwäche ausgelegt. Egal, ob bewusst oder unbewusst, egal ob empfunden oder real. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich, dass ein derartiger Glaubenssatz dafür sorgt, dass eine starke Führung keine Unsicherheiten zulassen kann. Deswegen werden Risiken gerne totgeschwiegen. Führungskräfte versichern einander und Außenstehenden gerne, man habe alles im Griff und sei daher stark. Leider aber ändern Glaubenssätze nicht die Realitäten. Auch wenn man sich nicht aktiv um Risiken kümmert, sind sie trotzdem da.

Bei uns sind keine Risiken erwünscht…

Ich hatte einmal in einem DAX-Konzern eine Analyse eines Risikoprozesses durchgeführt und fand auf dem Papier einen sauber aufgestellten, gut dokumentierten und mit allerlei Werkzeugen sinnvoll unterstützten Prozess vor. Wirklich nahe am Ideal. Ein Blick in die gelebte Realität brachte indes eine ganz andere Situation ans Tageslicht. In einem globalen Projekt mit zweistelligem Millionenbudget gab es ganze drei Risiken. Und bei genauem Hinsehen waren selbst diese drei Risiken gar keine Risiken, sondern Allgemeinplätze. Auf meine Frage, wo denn die Risiken seien, kam als Antwort, „dass bei uns im Hause keine Risiken gewünscht seien“. Geadelt werden also diejenigen Führungskräfte, die keine Risiken ausweisen, weil das sind die Profis. Projekte mit vielen Risiken dagegen können ja nur von Anfängern geleitet worden sein. Ein aberwitziger Ansatz, der am Ende den belohnt, der die Augen verschließt und den Kopf in den Sand steckt.

Randnotiz: Ein halbes Jahr später wurde das gesamte Projekt abgebrochen. Die Ist-Kosten hatten das doppelte Ausmaß des ursprünglich geplanten Budgets erreicht und es war noch kein Ende des Grauens in Sicht. Es wurden reihenweise falsche Entscheidungen getroffen, denn für Entscheidungen auf Basis der Ist-Situation hätte es ja eines Blickes in die Unsicherheiten bedurft. Dazu war aber niemand in der Lage. Weil die Risikokultur in diesem Unternehmen brachlag, man das Wegsehen bevorzugte und erwünschte Führungsqualität etabliert hatte.

Risiken verschwinden nicht durch Nicht-Beachtung

Komplexe Vorhaben brauchen also vielmehr eine aktive und richtige Risikobetrachtung – keine detaillierte Scheinplanung. Was aber, wenn wie im beschriebenen Fall in der Organisation oder dem Umfeld das Wort Risiko negativ stigmatisiert ist? Was, wenn eine Liste von Risiken als Schwäche und Inkompetenz ausgelegt bzw. angesehen wird? Dann gibt es offiziell eben keine Risiken. Es gibt sie natürlich doch, es wird nur so getan, als gäbe es sie nicht. Wenn man einen bereits interessant riechenden Mülleimer in der Küche hat, sollte man den Müll leeren. Das Ignorieren von Risiken wäre so, als ob man den stinkenden Müll in den Küchenschrank stellt, um ihn nicht mehr zu sehen. Bis irgendwann der Geruch zu penetrant wird, um ihn noch länger ignorieren zu können. Nota Bene: Risiken verschwinden nicht durch Nicht-Beachtung. Eine derartige Risikokultur ist dann auch gleich selber das Risiko Nummer eins.

Auf zu einer erstrebenswerten Risikokultur

Das Totschweigen von Unsicherheiten und das Aufstellen von Scheingenauigkeit führen zu Plänen, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Eine erstrebenswerte Risikokultur hingegen ermuntert alle Teilnehmer, aktiv über Unsicherheiten zu sprechen und auch Einschätzungen abzugeben, ob man ein Wagnis eingehen sollte oder nicht. Entscheidungen, die auf dieser Basis getroffen werden, sind um ein Vielfaches besser und später auch wesentlich belastbarer. Das Kernproblem, dass Risiken böse und schlecht sind, kann auch durch eine simple Verwechslung begründet sein. Viele kennen gar nicht den Unterschied von Risiko und Problem und verwenden diese Begriffe auch synonym.

Risiken schreiben keine bösen E-Mails

Wir sind uns einig: ein Problem ist nichts Gutes, ein Problem stört und zwingt alle Beteiligten zu Fire Fighting und Trouble Shooting. Ein Problem zwingt zur Kurskorrektur, teuren Alternativen und verbrennt Geld und Motivation. Risiken zwingen zu gar nichts. Risiken sind still und leise. Wenn man sich nicht um sie kümmert, dann rufen sie nicht an, schreien nicht durch die Gegend und schreiben keine bösen E-Mails. Nur Verschwinden tun sie nicht, sie wachsen heran und irgendwann werden aus niedlich kleinen und zarten Risiken veritable Probleme. Und die rufen dann an, mit sehr lautem Klingeln …

Fazit

Eine erfolgreiche Risikokultur ermuntert zur Auseinandersetzung mit Unsicherheiten. Entscheidungen basieren auf einer gesunden und nicht geschönten Lageeinschätzung inklusive aller Unsicherheiten und Fragezeichen. Daraus entwickeln sich Alternativen und auchNotfallpläne. Dürfen Unsicherheiten nicht genannt werden, führt dies zu einer mangelhaften Risikokultur. Eine mangelhafte Risikokultur ist aber ein Risiko an sich – ein Kulturrisiko.

Wie ist es um Ihre Risikokultur bestellt: Sprechen Sie in Ihrem Unternehmen frei und offen über Ihre Risiken?

Ihr

Thomas Wuttke

 

Über Thomas Wuttke

Thomas Wuttke, Risiken, Risikomanager, Entscheiden
Experte für Risikomanagement Thomas Wuttke. (Bild: © Thomas Wuttke)

Thomas Wuttke ist Speaker, Trainer, Manager, Dozent, Autor und Experte für Risikomanagement und erfolgreiche Entscheidungen. Er hatte über lange Jahre zahlreiche hohe nationale und internationale Managementpositionen inne. Der Herzblut-Unternehmer ist seit Mitte der 80er Jahre selbstständig. Kurz nach dem Studium gründete er seine erste Firma, ein Softwarehaus. Über ein Dutzend Firmen hat er seitdem ins Leben gerufen, gekauft und wieder verkauft. Mit dickem Plus aber manchmal auch mit schmerzhaften Minus. Thomas Wuttke weiß, wovon er spricht, wenn es um Risiken und harte Entscheidungen geht. Ganz nach seinem Motto „Entschlossen – Erfolgreich – Entscheiden“ legt er dar, wie wichtig es ist, Risiken zu erkennen und bewusst einzugehen. Denn: keine Entscheidungen zu treffen bringt garantiert auch keinen Erfolg. Die Zuhörer der Vorträge von Thomas Wuttke schätzen die Kombinationen aus tiefem Erfahrungsschatz, profunder Theorie und eingängiger Darstellung. Ganz ohne PowerPoint und äußerst unterhaltsam! Mehr über Thomas Wuttke unter www.thomaswuttke.com.

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