Verkehrsrecht: Ist Berlin eine ganz normale Stadt?

Bei gut 3,5 Millionen Berlinern und etwa einer Million oft ortsunkundigen Besuchern 2016 kann im Berliner Straßenverkehr schon einmal etwas schiefgehen. Über 140.000 Verkehrsunfälle registrierte die Berliner Polizei 2016. Fast 17.800 Personen wurden in Berliner Straßenverkehr verletzt, 56 sogar getötet. Hinzu kommen etwa 3,8 Millionen Ordnungswidrigkeiten, unzählige Rechtsstreitigkeiten mit Unfallgegnern, Behörden und Versicherungen. Viel Arbeit also für einen Strafverteidiger, der sich auf Verkehrsrecht spezialisiert hat. Wir haben mit Rechtsanwalt Achim H. Feiertag zu den Themen Verkehrsrecht, Verkehrsdelikte und die Besonderheiten des Berliner Straßenverkehrs gesprochen.

Rechtsanwalt Achim H. Feiertag im Gespräch rund um das Verkehrsrecht und den Straßenverkehr in Berlin

Herr Feiertag, als Fachanwalt für Verkehrsdelikte verfolgen Sie den ganz normalen Wahnsinn auf den Berliner Straßen seit vielen Jahren. Gibt es Auffälligkeiten, die Berlin von anderen deutschen Großstädten unterscheiden?

Ich bin anwaltlich nicht nur in Berlin tätig, sondern weit darüber hinaus. Es gibt in Großstädten eine Häufung von Verkehrsauffälligkeiten, die sich von ländlichen Regionen unterscheiden. Ich kann jedoch nicht berichten, dass spezifisch in Berlin besonders intensive oder auf Grund ihrer Art besondere Verkehrsverstöße eine größere Rolle spielen, als in anderen Ballungsräumen wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet.

Polizei und Justiz klagen über chronischen Personalmangel. Wie wahrscheinlich ist, dass Verkehrsdelikte wegen Fristüberschreitungen oder Formfehlern ungeahndet bleiben?

Es passiert gelegentlich, dass Verkehrsverstöße eingestellt werden, weil die sog. Verfolgungsverjährung eingetreten ist, darauf bauen würde ich nicht! Verfahrensfehler sind schon eher zu finden, wenn man sie sucht und erkennt. Genau das ist nicht immer leicht. Wenn Meier statt Meyer geschrieben wird, gleichwohl eindeutig ist, wer gemeint ist, hilft das allein nicht weiter.

Hat die Umstellung des Flensburger Verkehrszentralregisters von 18 auf 8 Punkte zu einer Verschärfung oder zu einer Entspannung für die Verkehrsteilnehmer geführt?

Das neue Fahreignungsregister hat das Punktsystem für Vielfahrer beziehungsweise Berufskraftfahrer eindeutig verschärft. Die Tilgungsfristen sind einfacher geworden, wurden aber auch verlängert. Auch der Punktabbau ist nur in geringerem Umfang möglich – als nach altem Recht.

Für viele Verkehrsteilnehmer ist der Entzug des Führerscheines existenzbedrohend. Gibt es mildernde Umstände oder sonstige Tricks, wenn vom verlorenen Führerschein der Job abhängt?

Schon bei einem Fahrverbot ist es relativ schwierig ein Absehen von einem Fahrverbot zu erreichen. Bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis geht es um die Eignung oder Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Hier ist der Mandant besser beraten und hält den Führerschein schneller wieder in seinen Händen, wenn er sich mit anwaltlicher und ggf. verkehrspsychologischer Hilfe um die Wiederherstellung der Fahreignung kümmert. Nach einer Trunkenheitsfahrt wird kein Gericht Milde walten lassen, weil der Betreffende dringend auf den Führerschein angewiesen ist. Aus meiner Sicht ist es ein Gebot der Ehrlichkeit, dem Mandanten dies auch klar zu sagen.

Bei 8 Punkten in Flensburg, Alkohol oder Drogen am Steuer droht häufig die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU), umgangssprachlich der „Idiotentest“. Gibt es Möglichkeiten, dieses Gutachten zu umgehen und wie hoch sind die Erfolgsaussichten, den Führerschein mit MPU zurückzubekommen?

Legale Möglichkeiten die MPU zu umgehen, gibt es seit geraumer Zeit nicht mehr. Der Führerscheintourismus ist teuer. Und die Freude meist von kurzer Dauer. Wird man mit einem Führerschein erwischt, der zwar teuer aber wertlos ist, schließt sich nicht selten eine Sperrfrist und eine Strafe an. Die MPU hat man damit nicht umgangen, man hat sie dann vor sich. Wer sie umgehen will, weiß wohl, dass er sie nicht so schaffen wird. Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung ist kein Idiotentest, sie ist auch kein Intelligenztest. Man muss die MPU gut vorbereiten. Nur diejenigen, die durchgefallen sind, weil sie sich weder vorbereitet noch ihr Verhalten nachhaltig verändert haben, erzählen Geschichten von rosafarbenen Elefanten, die über den Zebrastreifen gehen.

Wie reagieren Sie dann?!

Wer die Hürde der MPU gemeistert hat, weiß in der Regel realistischer zu beurteilen, woran das lag.

Berliner Radfahrer gelten bereits als wenig zimperlich. Haben sich durch die leistungsstärkeren E-Bikes neue Konfliktfelder – etwa bei der Nutzung von Straßen und Radwegen – ergeben?

Klar! Es ist aber auch richtig, dass fast alle Radfahrer auch Autofahrer sind und fast alle Autofahrer auch mit dem Rad unterwegs sind.

Der Dienstwagen gehört für viele zum Berufsalltag. Privat genutzt sind sie ein beliebtes Statussymbol. Was sollten Nutzer vermeiden, um im Konfliktfall keinen Ärger bei Haftung und Versicherung zu riskieren?

Eine vernünftige Dienstwagenregelung, die den Interessen beider Vertragsseiten gerecht wird, ist ein großer Vorteil. Typischerweise ist das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer reibungslos, wenn der Dienstwagen der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter übergeben wird. Der einfach vor die Tür gestellte Dienstwagen birgt ein großes Konfliktpotential – allerdings erst später. Klare Regeln, die für beide Vertragsparteien geschaffen wurden und dann auch von beiden Seiten akzeptiert und eingehalten werden, sind seltener Auslöser für einen Streit, der vor dem Arbeitsgericht landet.

Viele Verkehrsteilnehmer wähnen sich bestens von Haftpflicht, Kasko und weiteren Policen versichert. Brauche ich einen Anwalt, wenn die Versicherung nicht zahlen will?

Versicherungen sind wirtschaftliche Unternehmen, die auf Gewinn ausgerichtet sind. Sie vertreten nicht Ihre, sie verfolgen ihre Interessen. Um es kurz und knapp zu beantworten: Ja, schon aus Gründen der Waffengleichheit! Keinesfalls sollte man deren Kompetenz unterschätzen – im Gegenteil. Gleiches gilt für die Vernetzung der Versicherungen untereinander. Es gilt ebenso für die Frage nach der Anzahl der Fahrzeugschlüssel, für Vorschäden und die berühmte Frage nach einer Alkoholisierung bei einem Verkehrsunfall. Mit einer verweigerten oder geschönten Antwort riskiert man den Versicherungsschutz.

Herr Feiertag, wir danken für das interessante Gespräch zum Thema Verkehrsrecht.

 

Über Achim H. Feiertag

Achim H. Feiertag ist seit 1998 Rechtsanwalt in Berlin, seit 2009 Fachanwalt für Verkehrsrecht. Neben der Tätigkeit in seiner Kanzlei in Berlin-Schöneberg ist der erfolgreiche Anwalt auch durch viele Fachpublikationen und Vorträge zum Verkehrsrecht bekannt.

 

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