Zu Boden gehen… Über das Scheitern und Wiederaufstehen

Was bedeutet „scheitern“ eigentlich? Mit dieser Frage befasst sich Ulrich B Wagner. Denn „scheitern“ ist ein typisch deutsches Wort, dem seine negative Konnotation schon durch die etymologische Herkunft quasi in die Wiege gelegt wurde. Vielleicht ist deshalb das Scheitern hierzulande noch immer mit so großer Scham verbunden?

In seiner heutigen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET DAS WORT ZUM FREITAG“ beschäftigt sich Ulrich B Wagner mit dem Hinfallen und Wiederaufstehen.

Willst du den Unterschied zwischen einem Meister und einem Anfänger wissen? Der Meister hat öfter versagt, als es der Anfänger je versucht hätte

Unbekannter Verfasser

Ich glaube, dass die Ungeduld, mit der man seinem Ziele zueilt, die Klippe ist, an der oft gerade die besten Menschen scheitern.

Friedrich Hölderlin

Es gibt mehr Leute, die kapitulieren, als solche, die scheitern.

Henry Ford

Richtig scheitern – geht das?

Das Leben ist voll von größeren und kleineren Fehlschlägen. Eigentlich gehört das Scheitern zum Leben wie Essen und Sch….. Ist das wirklich so? Oder andersherum gefragt: Ist jedes Nichtgelingen wirklich immer auch gleich ein Scheitern? Doch davon später mehr.

Mit Büchern über das Scheitern kann man in Deutschland locker eine durchschnittliche Zweizimmerwohnung unbewohnbar machen. DER SPIEGEL widmete dem Scheitern vor kurzem in seiner Reihe SPIEGEL WISSEN sogar ein ganzes Heft mit Titel: Richtig Scheitern. Warum?

Angst machen ja bekanntlich immer nur die Dinge, die man nicht order noch nicht kennt, und die gute alte Taktik der Verdrängung ist auch nur kontraproduktiv. Denn je weniger wir über eine Sache oder eine Situation wissen wollen, um so schlimmer wird es dann am Ende des Tages.

Die Möglichkeit des Scheiterns macht Angst

Scheitern macht Angst. Scheitern lähmt. Das (vermeintliche) Scheitern führt zu gruseligen Fehlentscheidungen, manchmal mit tödlichem Ausgang. Denn Scheitern ist in Deutschland zu 99 Prozent mit Scham verbunden. Dies war auch bei dem ehemals erfolgreichen Unternehmer und seines Zeichens Gründer des Generika-Herstellers Ratiopharm, Adolf Merckle, nicht anders, als er sich 2009, ganz in der Nähe seines Heimartorts Blaubeuren, vor den Zug schmiss. Nachdem er, der bis dato erfolgreiche Selfmade-Milliardär, der sich bereits 2008 enorm mit Aktien verzockt hatte, keinen anderen Ausweg mehr sah. Seine Familie kommentierte den Abgang des Patriarchen damals mit den folgenden Worten: Die durch die Finanzkrise verursachte wirtschaftliche Notlage seiner Firmen und die damit verbundenen Unsicherheiten der letzten Wochen, sowie die Ohnmacht, nicht mehr handeln zu können, haben den leidenschaftlichen Familienunternehmer gebrochen, und er hat sein Leben beendet.

Wer hinfällt, schafft es manchmal nicht, wieder aufzustehen

Nicht nur dieses Beispiel zeigt, welch extremste Formen das vermeintliche Scheitern annehmen kann. Scheitern ist nämlich in den häufigsten Fällen nicht nur mit Scham, sondern auch mit ihrer destruktiven größeren Gefühlsschwester, der Ohnmacht verbunden. Ohnmacht lähmt nun einmal, und wie das Leben, oder besser das nicht ungewöhnliche Ableben in diesen Fällen zeigt, nicht nur punktuell, sondern leider in diesem Kontext (immer noch) viel zu oft den Lebens- bzw. Überlebenswillen. Niederlagen, Misserfolge, Fehler und Irrtürmer gehören zum Leben. Das Scheitern darum auch?

Gewinner und Verlierer in historischer Perspektive

Auf dem Historikertag neuzeit im vergangenen Jahr hatten sich die Forscher des Themas „Gewinner und Verlierer“ angenommen und darauf verwiesen, dass diese strikte Unterscheidung, so wortwörtlich: seit der Antike Kernbestand der Deutung historischen Geschehens (sei). Sowohl direkte und indirekte Auseinandersetzungen als auch historische Prozesse haben Gewinner und Verlierer, die gegebenenfalls erst in der historischen Untersuchung und im historischen Urteil als solche hervortreten.“ Oder anders ausgedrückt: Gewinnen oder Verlieren ist in der Regel immer auch eine Frage der Perspektive und des berühmten ‚Vorher/Nachher‘ Blickwinkels.

Wer Fehler macht, lernt daraus

Das Gewinnen und Verlieren bildet jedoch nicht nur eine anthropologische Konstante, sondern macht uns auch schlauer. Und dies nicht nur in Folge so altkluger Sprüche wie: Aus Fehlern lernt man. Jeder Fehler ist im Grunde der Geburtshelfer eines (spätereren) Gewinns. Wenn, ja, wenn da in unsrem Ländle nicht irgedwo, irgendwas verborgen wäre. Es ist ein moralisches Problem, und es ist eng verbunden mit unserem deutschen Wörtchen Scheitern.

Ein etymologischer Exkurs über das Scheitern

Das Wort scheitern stammt nämlich ursprünglich gesehen aus der Lebenswelt der Kaufleute, Seefahrer und Händler. Also den Jungs, die den Frühkapitalismus aufgebaut und uns somit nicht nur dieses vermaledeite, unsägliche Wort eingebrockt haben. Bildlich gesehen ist es so: Ein Schiff, das scheitert, hinterlässt auf den Wellen Trümmer, Splitter, Holzscheite, wovon der Rest dann nunmal zwangsläufig ist. Unser lieber Dr. Bopp, der zu allen Fragen der deutschen Sprache etwas zu sagen hat, drückt es folgendermaßen aus: Mit der Bedeutung misslingen, fehlschlagen ist dieses Verb relativ jung (17. Jh.). Davor gab es zerscheitern (16. Jh.), wahrscheinlich also in Scheiter gehen, in Stücke gehen. Das Wort Scheit (abgespaltenes Stück Holz) hatte früher die Form schît und ist – vielleicht erraten Sie es schon – mit dem Verb scheiden verwandt.

Nicht scheitern – sondern wieder aufstehen!

Man kann einmal verlieren, man kann einmal hinfallen. Dann steht man halt wieder auf. Mit Scheitern hat das rein gar nichts zu tun. Scheitern ist deutsch. All diejenigen, die das Scheitern wie eine Monstranz zur Abschreckung vor ihren bleichen Leibern hertragen, wollen im Grunde nur eines: Sie wollen die Kontrolle über uns nicht verlieren. Nur deshalb wird landauf und landab bei uns die Mutlosigkeit und Untertanenmentalität gefördert. Unsere schon mit der Muttermilch aufgesogene Angst vor dem (vermeintlichen) Scheitern ist hierbei ihre stärkste Waffe.

Scheitern – ein Unwort

Ich für meine Person streiche dieses Unwort ersatzlos aus meinem Wortschatz und halte es lieber mit Arnie, der vor kurzem einem kleinen Jungen Mut zusprach, indem er ihm die folgenden Worte zukommen ließ, wie der FOCUS berichtet: „Habe keine Angst vor dem Versagen, wie weit kannst du schon fallen? Du hast es erlebt. Bis zum Boden. Jetzt weißt du, dass du keine Angst haben musst.“ Der letzte Gewichtheber, den er angefeuert habe, habe später den Weltrekord im Kreuzheben eingestellt, schrieb der Terminator-Star dem 19-Jährigen weiter. Ich feuere auch dich an! Du bist den ersten Schritt gegangen und gestürzt, aber zumindest bist du in die richtige Richtung gefallen, also steh auf und geh den nächsten Schritt!“

In diesem Sinne wünsche ich uns Allen mehr Mut zu unseren Träumen, auch wenn sie mit einem Risiko verbunden sind. Denn auch wir sind wie Schiffe, die es im Hafen zwar sicherer haben, aber nunmal nicht dafür gemacht sind.

Ihr entscheiterter
Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner, irrsinn, das positive denken
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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