Nichtstun… oder den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf Ein Versuch über die Muße

La Dolce Vita, das süße Nichtstun… Jahrhundertelang war es die Arbeit, die verpönt war. Philosophen, Könige, Adel, Wissenschaftler und überhaupt jeder, der etwas auf sich hielt, beherrschte die Kunst des Nichtstun. Das hat sich leider geändert: Heute gilt nur etwas, wer sich ständig abrackert und am besten mehrere Dinge gleichzeitig erledigt. Dabei ist das Nichtstun meist nur vordergründig: Denn unser Gehirn arbeitet währenddessen weiter – und trotzdem erholen wir uns.

Deshalb plädiert Ulrich B Wagner in seiner heutigen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ dafür, das Nichtstun wieder en vogue zu machen.

Nichts ist schwerer, als gar nichts zu machen. (Deshalb sind wir heute zusammengekommen, um es uns leichter zu machen, indem wir etwas machen, das wir uns schon lange vorgenommen haben.)

Walter Matthau

Wenn der Mensch zur Ruhe gekommen ist, dann wirkt er.

Francesco Petrarca

Nichtstun und Schlaf: Unterschätzte „Tätigkeiten“

An dieser Stelle werden sich im Folgenden wohl meine Geständnisse über das Nichtstun und die Verehrung des Schlafes mit einem Problem verbinden, das wohl nicht nur Kolumnisten und andere Schreiberlinge verbindet und herumtreibt, sondern allgemeiner Natur ist.

Nichtstun, Schlaf, Dolce Vita
Foto: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de

Wann es beispielsweise besser ist, einfach mal Loszulassen und nichts zu tun, anstatt sich vergeblich und unermüdlich wie eine überhitzte Dampflock abzuzappeln und nicht nur sich, sondern auch seinem Umfeld, ohne Sinn und Verstand und, was wohl viel schlimmer ist, ohne echtes, verwertbares Ergebnis, auf den Geist zu gehen.

Cicero tat es, Picasso erkor es zur Muße, John Lennon liebte es, Einstein schwor darauf, Goethe widmete ihm einige schöne Verse, und der französische Essayist Montaigne gilt auch über 400 Jahre später noch als größter Verehrer und Lobpreiser des Nichtstuns und des Schlafes.

Der Meister des Schlafs war Montaigne

Bei dem französischen Essayisten Michel de Montaigne ging diese Liebe sogar so weit, dass er täglich seinen Diener aufforderte, ihn mitten in der Nacht zu wecken, damit er das Gefühl der Schläfrigkeit und das Vergnügen, wieder einzuschlafen, noch einmal genießen könne. Denn folgt man der Einsicht des Großmeisters, so stellt der einzig bedauerliche Umstand am Schlaf der dar, dass man sich dessen wundervoller Freuden, während man schlafe, leider nicht bewusst sei.

Ohne Mittagsschlaf keine Gesetz der Schwerkraft…

Nichtstun, Schlaf, Dolce Vita
Das süße Nichtstun… leider können es nur noch wenige. (Foto: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

Ob nächtlicher Schlaf, Mittagsschlaf oder das bloße Dösen und Tagträumen während des auf den ersten Blick offensichtlichen Nichtstuns, gelten in unseren Breitengraden und verstärkt durch unsere neuen Kommunikationsmedien, trotz der aus Schulzeiten wohl jedem bekannten Geschichte über die Entdeckung der Fallgesetze zu den großen Buhmännern unsres so verheißungsvollen Internet- und Handyzeitalters mit seiner Dauerberieselung und Dauererreichbarkeit. Auch wenn noch so viele Berühmtheiten wie Issac Newton diese Wenigschläfer und Wachheits-Junkies Lügen straft. Dieser „wohl berühmteste Mittagsschläfer der Geschichte“, der, angelehnt an einen Schatten spendenden Apfelbaum, selig vor sich hindöste, als er durch den oben bereits zitierten herabfallenden Apfel nicht nur unsanft aus Morpheus‘ Armen gerissen, sondern dem dabei auch wie durch Geisterhand das Gesetz der Schwerkraft verdeutlicht wurde. Oder nehmen Sie nur Archimedes, der gar in der Badewanne gedöst haben soll, als er wie nebenbei das Prinzip des Auftriebes entdeckte.

Benjamin Franklin: Der Mörder des Nichtstuns

Wir folgen dennoch immer noch einem anderen. Dem in meinen Augen wohl schlimmsten Verursacher von Ideenmangel, Innovation und Glück: Benjamin Franklin. Der amerikanische Staatsmann und Erfinder des Blitzableiters, pries nämlich schon im 18. Jahrhundert das Frühaufstehen und pushte in seinem Tugendweiser nicht nur sich selbst und seine armen Zeitgenossen pausenlos mit Sätzen wie diesen: „Verliere keine Zeit, sei immer mit etwas Nützlichem beschäftigt; entsage aller unnützen Tätigkeit.“ Auf diese Weise unterwarf der gute Mann nebenbei nicht nur die Naturgesetze, sondern auch sein Leben einem strengen Kalkül. So ist er bis heute dafür bekannt, dass er sich in einem Tagebuch über jede Stunde seines Tages Rechenschaft ablegte. Als ob diese Lobpreisung hektischen Aktionismus nicht ausreichen würde, prägte er schließlich zu allem Überfluss 1748 auch noch jenen schicksalhaften Satz, der sich im Laufe der Jahre gebetsmühlenartig heruntergeleiert durch alle Schichten und Berufsmilieus zu einer unumstößlichen Doktrin wandelte: „Zeit ist Geld“.

„Zeit ist Geld!“

Danke nochmals an dieser Stelle diesem Brandschatzer der

Nichtstun, Schlaf, Dolce Vita
Das süße Nichtstun… leider können es nur noch wenige. (Foto: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

größten menschlichen Heiligtümer, nämlich dem Nichtstun und dem Schlaf. Denn inzwischen wagt es kaum noch jemand, den Schlaf wie oben gesehen zu verherrlichen. Nein, flott dem Leid-Spruch „Zeit ist Geld“ gefolgt, heißt es, gegen alle Vernunft früh und munter aus dem Bett zu springen und freudig sein Tagwerk in Angriff zu nehmen (Mehr dazu in meiner Kolumne Mythos Frühaufstehen oder der frühe Vogel kann mich mal). Von frühesten Kindesbeinen hämmert man uns in falscher Gefolgschaft ruhestörende Merksätze in den Kopf wie: „Morgenstund hat Gold im Mund“ oder: „Früher Vogel fängt den Wurm“.

Und dies trotz der Tatsache, dass internationale Wissenschaftler seit Jahren auf die heilsamen wie kreativitätsfördernden Effekte des Ausruhens, des Nichtstuns und des Schlafens hinweisen. Schlafforscher, Mediziner und Neurobiologen haben von unterschiedlichen Seiten her untersucht, was in unserem Organismus geschieht, wenn wir dösen, träumen oder einfach mal gar nichts tun. Und dabei zeigt sich: In der Ruhe sind wir ganz schön aktiv und vor allem auch kreativ.

Nichtstun macht kreativ

So wies der Schlafforscher Robert Stickgold von der Harvard University nach, dass sich Lernleistungen durch eine entspannte Nachtruhe deutlich steigern lassen. Seine Probanden übten, Unregelmäßigkeiten in einem ansonsten regelmäßigen Strichmuster zu erkennen. Konnten sie danach eine Nacht gut schlafen, stieg ihre Leistung am nächsten Tag sprunghaft an, gerade so, als hätte das Gehirn im Schlaf weiter geübt. Hinderte man die Versuchspersonen am Schlafen, blieb der Lerneffekt prompt aus. Ähnliche Erkenntnisse lieferten Experimente mit Ratten, die tagsüber lernen mussten, sich in einem komplizierten Labyrinth zurechtzufinden. Anhand ihrer Hirnströme konnte der Neuroforscher Matthew Wilson vom MIT in Boston feststellen, dass die Rattenhirne während des Schlafens genau dieselben Muster wie am Tag produzierten. Wilson folgert daraus, dass die Nager im Schlaf noch einmal den Weg durch das Labyrinth vergegenwärtigen und sich so das tagsüber Gelernte unbewusst einprägten, so ein Bericht des SPIEGEL.

Zu wenig Schlaf ist viel zu teuer

Es wird Zeit für uns umzudenken. Interessierten Lesern empfehle ich zum Einstieg in diesem Zusammenhang das Buch von Ulrich Schnabel: „Muße. Vom Glück des Nichtstuns“, in dem er auch von der amerikanischen Schlafforscherin Sara Mednick berichtet, die an der University of California in San Diego lehrt. Sie rechnet den amerikanischen Unternehmen nicht nur vor, dass übermüdete Angestellte für Unfälle und Produktionsausfälle im Wert von jährlich 150 Milliarden Dollar, sondern auch für Kreativitätszerstörungen atomaren Ausmaßes verantwortlich sind und dass, so gesehen, kaum etwas lukrativer ist als gesunder Schlaf. In ihrem Buch Take a nap. Change your life preist sie das Nickerchen gar als lebensverändernde Kraft und als „die Nummer 1“ der Kreativitätssteigerung.

Ein Manifest für den Schlaf

Wer etwa besonders seine Kreativität fördern will, sollte laut Mednick zwischendurch etwas träumen. Denn in einem ihrer Versuche, bei denen es um das kreative Finden von Begriffsanalogien ging, schnitten jene am besten ab, die ein Mittagschläfchen mit mindestens einer Traumphase einlegte. „Für geistige Aufgaben, an denen wir schon geraume Zeit arbeiten, genügt in der Regel einfach etwas Zeit, um eine Lösung zu finden“, kommentiert Mednick. „Bei einer neuen Herausforderung kann aber nur der Traumschlaf die Kreativität steigern.“

Doch die kreativen Geistesblitze sind für Mednick nur einer von vielen Gründen, die dafür sprechen, sich mittags aufs Ohr zu legen. In ihrem Nickerchen-Manifest zählt sie insgesamt 20 Vorteile des Mittagsschlafs auf:

  • Steigerung der Aufmerksamkeit um bis zu 100 Prozent
  • Stärkung
 der motorische Koordination und der Genauigkeit
  • Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit und Entscheidungsfreude
  • Reduktion des Risikos für Herzinfarkte und Schlaganfälle
  • Bewahrung eines jugendlichen Aussehens
  • Förderung des Abnehmens, da Ausgeschlafene weniger Heißhunger auf Süßigkeiten oder fettigen Knabberkram verspüren
  • Allgemeine Anhebung der Stimmung, da beim Schlafen der Botenstoff Serotonin im Gehirn freigesetzt wird;
  • Reduktion von Stress
  • Weniger Gefahr der Abhängigkeit von Drogen oder Alkohol, die häufig als Mittel gegen Erschöpfung eingesetzt werden
  • Nachhaltige Verbesserung der Gedächtnisleistung und Kreativität durch einen besseren Nachtschlaf
  • Und… last but not least. Hier noch ein weiteres unschlagbares Argument. Es fühlt sich einfach klasse an.

Ich könnte noch ewig über die Vorzüge des Nichtstuns schwärmen, gerade auch weil diese Effekte mittlerweile nicht nur wissenschaftlich bewiesen sind, sondern auch noch kostenlos, ohne Schadstoffe und ohne gefährliche Nebenwirkungen immer und überall zu haben sind.

Mehr Mut zum Nichtstun

In diesem Sinne mache ich an dieser Stelle erst einmal Schluss für eine Runde Nichtstun. Aber nicht jedoch, bevor ich Sie alle dazu aufgefordert habe, gemeinsam mit mir eine Petition aufzusetzen und unterschrieben bei der UNO einzureichen, in der dafür plädiert wird, dass das Recht auf Nichtstun in den Menschenrechten verankert wird.
In diesem Sinne wünsche ich uns Allen mehr Mut zum Müßiggang und zum Nichtstun

Ihr
Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner, irrsinn, das positive denken
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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