Sucht ist ein mächtiges „Scheiß-Spiel“!

Was sind aus Ihrer Praxis oft die Ursachen für die Flucht in Suchtmittel?

Ich würde es nicht nur auf eine Flucht reduzieren. Drogen machen einen super Job, sonst würde sie ja keiner nehmen. Menschen sind von Haus aus bequem und gehen sehr gerne den Weg des geringsten Widerstandes. Mangelnde Handlungskompetenz, Unwissenheit und fehlende Problemlösungsstrategien sind sehr oft die Ursachen und lassen Menschen sich in der Sucht verlieren.
Oftmals stellt der naive Mensch an sich leider sehr schnell die positive Wirkung des Suchtmittels fest und erkennt die angenehmen Seiten der Droge. Dieses erlernt er dann als bewährte Bewältigungsstrategie im Umgang mit den täglichen Anforderungen, die das Leben an ihn stellt. Warum also sollte ich mich mit mir selbst und meinen inneren Abgründen, meinem Umfeld und so weiter auseinandersetzen wenn der Weg zum Glück und zur Zufriedenheit so einfach ist?

Woran kann ich als Führungskraft und Vorgesetzter erkennen, dass mein Mitarbeiter beziehungsweise meine Mitarbeiterin „süchtig“ ist?

Erkennen kann nur, wer seine Mitarbeiter kennt! Dazu gehört Vertrauen, Offenheit, Wertschätzung und ein generelles Interesse am Menschen selbst! Süchtige sind Meister der Lügen und der Selbstinszenierung. Die Führungskraft selbst sollte daher an erster Stelle als gestandene Persönlichkeit mit sich selbst im Reinen sein und Wert auf intensive, wachsame und aktive Beziehungsarbeit zu seinen Mitarbeitern legen. Nur dann ist er in der Lage Verhaltensauffälligkeiten des Mitarbeiters zu erkennen und ihn oder sie gegebenenfalls auf einer persönlich sachlichen und vorurteilsfreien Ebene abzufangen, oder ihm beziehungsweise ihr auch Hilfe und Unterstützung anzubieten.

Wie sollte ich mich hier richtig verhalten, wenn ich den Verdacht habe? Sollte ich das offene Gespräch mit der betroffenen Person suchen? Oder empfehlen Sie hier etwas anderes?

Im Nachhinein betrachtet wäre ich aus heutiger Sicht froh darüber gewesen, wenn jemand die Courage aufgebracht hätte, mir rechtzeitig und bedingungslos konsequent mein Verhalten zu spiegeln. Damit hätte ich vielleicht schon viel früher meinen persönlichen Tiefpunkt erfahren und wäre möglicherweise aufgewacht.


Der Job des Helfers ist es leider nicht, sich beliebt zu machen. Wer versucht einzugreifen, wird als potenzieller Feind und Gegner erlebt. Der Süchtige würde ohne seine Mittelchen ins Leere fallen. Das macht ihm zunächst extreme Angst. Schuld und Scham macht sich breit. Er müsste Schwäche zeigen. Der Süchtige steht dabei meist mit dem Rücken zur Wand und bläst zum Gegenangriff. Wer andererseits wegsieht, den Süchtigen deckt oder sein Verhalten beschwichtigt, macht sich mitschuldig. Solange der Süchtige nicht den Druck von außen spürt, ist seine Welt ja in Ordnung. Bevor Sie helfen können, ist an erster Stelle Selbstschutz angesagt, da der Süchtige Sie sonst für seine Sucht missbrauchen wird. Stichwort Co-Abhängigkeit. Sie machen sich abhängig von der Sucht des Süchtigen. Wenn Sie jemand bittet, mit ihm eine Meile zu gehen, gehe mit ihm zwei, aber keine 20. Holen Sie sich spätestens hier Hilfe von echten Profis, die sich ihr Wissen nicht nur im Lehrbuch angelesen haben. Von Profis, die nicht nur mit statistisch belegten Standardmethoden die Krankheit therapieren wollen, sondern an erster Stelle konsequent und klar den Menschen im Fokus haben.

Können Unternehmen und Vorgesetzte von sich aus Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz ergreifen, dass es gar nicht so weit kommt?

Während Aufklärung und Prävention insgesamt zu wirken scheinen, gehen die Kampagnen an den Süchtigen oder hochgradig Suchtgefährdeten weiter vorbei.

Die Frage ist nicht, was das Unternehmen tun kann, die Frage ist eher was sich hinter der Fassade des Süchtigen verbirgt, was ihn plagt, und warum er seine Gefühlswelt durch Drogen beeinflusst. Dies setzt ein starkes Interesse am Menschen und mit beiden Beinen im Leben stehende Führungspersönlichkeiten voraus, die bereit sind, die Verantwortung für sich selbst und somit auch für ihre Angestellten zu übernehmen!

Von einer Prohibition will ich dabei gar nicht erst reden.

Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste an diesem Thema?

Mir ist es wichtig, den Menschen durch meine eigene Geschichte Hoffnung zu machen und ihnen einen Spiegel vorzuhalten. Ich möchte nicht mit drohendem Zeigefinger agieren, sondern die Menschen zur Selbsthilfe aktivieren!

Persönliche Veränderung ist jederzeit möglich! Das Leben ist viel zu geil, um einfach weggeworfen zu werden. Wer wirklich will, dem öffne ich die Augen. Ehrliche Selbstbetrachtung und die Übernahme von Verantwortung für das eigene, einzigartige Leben ist angesagt. Sucht ist eine seelische Krankheit, die von außen nicht „weg-therapiert“ werden kann! Hilf Dir selbst sonst hilft Dir keiner.

Leider schaffen es nur 20 Prozent aller Süchtigen, ein Leben lang sauber zu bleiben. Sucht ist kompromisslos und vergibt keine Fehler.

Was erwartet Teilnehmer in Ihrem Workshop auf dem Soul@Work-Kongress?

Ich rede Klartext und gebe Einblick in meine ganz persönlichen gelebten Erfahrungen und Sichtweisen meines vergangenen, hochgradig zerrissenen, abhängigen und schwer depressiven Lebens.

Ich berichte anschaulich darüber, wie es sich anfühlt, sich im Teufelskreis mangelnder Handlungskompetenz und fehlender Selbstwirksamkeit zu befinden.

Verstand setzt Verstehen voraus. Erst wer weiß, wie ein Süchtiger tickt, kann positiven Einfluss ausüben.

Herr Biesinger, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Oliver Foitzik (Herausgeber AGITANO– & HCC-Magazin).

Und wenn Sie am Montag, 10.03.2014, auf dem Kongress Soul@Work im Kloster Eberbach, Eltville, dabei sein wollen, hier erfahren Sie mehr dazu. AGITANO-Leser kommen Sie exklusiv in den Genuss einer vergünstigten Kongress-Eintrittskarte.

Über Rainer Biesinger:

Rainer Biesinger, Sucht, Burnout, Depresseion, Drogen
(© Foto: Rainer Biesinger)

Wie fühlt es sich an, sich im Teufelskreis mangelnder Handlungskompetenz und fehlender Selbstwirksamkeit zu befinden? Die Antworten auf diese und weitere Fragen kennt Rainer Biesinger aus eigener Erfahrung. Nach seinem erfolgreichen Weg raus aus dem Drogensumpf, arbeitet der Persönlichkeitstrainer, Keynote-Speaker und Heavy-Metal-Coach mit Menschen und Unternehmen, die in privaten und beruflichen Situationen an ihre persönlichen Grenzen geraten sind. Mehr über Rainer Biesinger im Internet auf www.rainer-biesinger.de.


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