Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Über Sokrates, Facebook und die Jugend

Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner

Heute:    Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
Über Sokrates, Facebook und die Jugend. Ein Plädoyer für die Zukunft

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Der größte Fehler, den die Jugend von heute hat, ist der, dass man nicht mehr zu ihr gehört.
Salvador Dali

Der Mangel an Erfahrung veranlasst die Jugend zu Leistungen, die ein erfahrener Mensch niemals vollbringen würde.
Jean Duché

Jugendsünde = Wenn man jung ist und sie verpasst
Erich Maria Remarque

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Immer wieder die Gleichen und das ohne Unterlass. Schon der gute alte Sokrates soll als er mit seinen Schülern durch Athen schlenderte und sich seinen philosophischen Ergüssen hingab, geklagt haben: „Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte. Die Jugend steht nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widerspricht den Eltern und tyrannisiert die Lehrer.“ Bewiesen ist dies zwar nicht und doch wird dieses angebliche Sokrateszitat seit ewiger Zeit in pädagogischen Kontexten über die angebliche Verlotterung der heutigen Jugend gebetsmühlenartig heruntergebetet (siehe hierzu auch DIE ZEIT ONLINE vom 07.04.2004 und den BLOG von Thomas Weber) . Sei’s drum. Ich komme hierauf vielleicht später nochmals zurück.

Seit kurzem hat die Jugend nun auch noch 24 Stunden am Tag Walpurgisnacht und reitet auf dem Hexenbesen Facebook, mit grauenvollen Folgen für das „reale“ Gemeinwesen, durch die virtuelle Welt. Die Jugend verlottert nicht mehr nur, sondern sie zerstört die deutsche Sprache, das Gefühl, echte Romanzen und das „wahre“ Verständnis von Freundschaft, Liebe und Treue. Es geht bergab mit uns. Schalten wir es also doch bitte so schnell wie möglich ab, dieses Teufelswerk aus sozialen Netzwerken, Chats und Internetforen, bevor ein neues Sodom und Gomorah über uns hereinbricht. Und wenn schon nicht ganz so drastisch, so lasst doch endlich die staatliche Zensur mit Gesetzen, Verboten, Kontrollen und Einschränkungen diesem irren Treiben Einhalt gebieten.

Letzte Woche stand im Spiegel der Artikel „Ich liebe dich so fucking’ vieel <3“, angeblich zelebrieren Mädchen nämlich ihre Freundschaften neuerdings wie leidenschaftliche Romanzen und unsere Forscher beobachten bereits einen Kult um die allerbeste Freundin fürs Leben dank Facebook & Co.

Gekreische, Heulerei, Tränen, Kummer und enttäusche Gefühle. Warum tun wir das unseren Kindern an, möchte der besorgte Mensch hier gerne fragen. Und dann zu guter Letzt auch noch die Verrohung der Sprache, Abkürzungen, Idiome, Kunstworte und sonstiges, das dem Ottonormalverbraucher wie chinesisch verkommt.

Angeführt werden Sprüche wie: „Wer dich umarmt, hat für einen Moment eine ganze Welt im Arm“ oder „Ich hab so Angst dich zu verlieren, denn du mein Baby bist alles für mich“. Es steht wahrhaft nicht gut um unsere Jugend.

Vor nicht allzu langer Zeit saß ich einmal bei meiner Mutter am sonntäglichen Kaffeetisch, und wir beschlossen, mal wieder alte Fotos zu betrachten, was in der Regel auch immer ein sehr vergnügliches Unternehmen ist, falls all die anderen, die auch auf den Fotos abgebildet sind, gerade nicht anwesend sind. Doch mehr dazu vielleicht einmal in einer anderen Kolumne. Es muss an dieser Stelle jedoch dazu gesagt werden, dass seit meines Gedenkens Fotos, Bilder und sonstige Devotionalien der Vergangenheit bei uns zu Hause nicht wie in anderen Familien in Alben oder säuberlich strukturierten Ordnern aufbewahrt werden, sondern in Kisten. Fein säuberlich unsortiert, so dass jeder Griff in die Vergangenheit immer auch einem Griff in die in Kindertagen so geliebte Wundertüte zu gleichen vermag.

Wie durch Zauberhand offenbart sich an diesem sonnigen Herbstwochenende dann durch solch einen unüberlegten Griff das Grauen der nicht virtuellen Vorzeit in der Gestalt des Poesiealbums meiner Mutter. Fotos beiseite, Lesebrille auf die Nase und schon ging es los.

Einige Sätze für mich schier unlesbar, da in Sütterlinschrift geschrieben (konnten die denn damals nicht ordentlich schreiben oder was?), gefolgt von Reimen, Gedichten, lesbar zwar, doch, welch Grauen, zwischen dem verblassenden Papier schien die Romantik nur so dahinzufließen: Als ich eine Rose sah und mir in den Finger stach, habe ich mit Blut geschrieben: Ich werde dich für immer lieben! (gezeichnet Deine Dich für immer liebende Mitschülerin ……) und nur wenige Seiten weiter: Ein Körbchen voll Rosen, zwei Täubchen dazu, das Liebste von allen bist nur du (gezeichnet Deine Freundin ….).

Ich begann mir Sorgen zu machen um meine Mutter und schwieg betreten. In welcher Zeit mag sie wohl groß geworden sein? Wie ist es ihr ergangen in der Folge? Konnten sie wirklich später noch wahre Romantik und Liebe empfinden?

Einverstanden, Facebook besitzt eine andere Dimension als ein „olles“ Poesiealbum, es ist vergänglicher, schnelllebiger, offener und bestimmt auch auf gewisse Weise publikumsorientierter. Oder doch nicht?

Meiner Mutter ist Facebook fremd, doch später am Abend erzählte sie mir noch eine Geschichte aus der vergangenen Zeit, in denen Mädchen, pubertierend, ihre Poesiealben vorzeigten, um sich gegenseitig zu übertreffen, sich zu necken und auch ein wenig zu verletzen. Machen Sie sich an dieser Stelle doch selbst ihre Gedanken hierzu.

Ich möchte an dieser Stelle einige Gefahren der sozialen Netzwerke keinesfalls herunterspielen, doch trotz allem würde es uns „Älteren“ gewiss gut zu Gesichte stehen, von Zeit zu Zeit einfach einmal die Kirche im Dorf zu lassen.

Doch nicht so bei uns. Es muss Öl ins Feuer gegossen, Ängste Panik und Misstrauen gesät und als Teufelswerk verdammt werden, was die Altvorderen nicht verstehen können und wollen, wie jetzt im TV-Thriller „online – meine Tochter in Gefahr“ mit Annette Frier in der Hauptrolle.

Verstehen sich mich bitte nicht falsch, doch ich denke es war einmal, wenn ich mich richtig entsinne, der große argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borghes, der einmal sagte: Ein Buch in der Hand eines Unwissenden besitzt die gleiche Gefahr wie ein Schwert in der Hand eines Irren. Ich denke, das gleiche gilt für das Phänomen Facebook & Co.

Die Welt, die Art und Weise wie wir kommunizieren verändert sich unaufhörlich und wir bestimmt auch ein Stück mit ihr und doch bleibt bei aller Verschiedenheit am Ende in gewisser Form doch vieles gleich. Das Neue bedarf der Zeit bis wir ihr es zu schätzen und „einzusetzen“ wissen. Dies gilt nicht nur für die sozialen Medien, sondern für alles was uns umgibt.

Doch zurück zu unserem anfänglichen Sokrateszitat. Es gibt keinen Beweis hierfür, weder bei Plato noch sonst in irgendwelchen Schriften, und es klingt darüber hinaus auch ein wenig abwegig, wenn man sich die Anklage vor Augen führt, die letzten Endes zu dem berühmten Schluck aus dem Schierlingsbecher führte: Sokrates verderbe die Jugend.

Es ist daher mehr als an der Zeit, vieles nicht einfach kritiklos nachzuplappern, sondern zu hinterfragen. Sokrates fand den Tod, nicht weil er die Jugend beschimpfte, sondern weil er sie anhielt, die Welt und die herrschende Meinung zu hinterfragen. Sokrates war nicht Verächter und Zerstörer der Jugend, sondern Vorbild und Motor.

Dies mag auf die eine oder andere Art, wenn man es zu verstehen mag, auch für die neuen Medien zutreffen.

Wenn, ja wenn man das eine von dem anderen zu unterscheiden in der Lage ist.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Mut zum Hinterfragen.

Ihr Ulrich B Wagner

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Über den Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie. Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare. Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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