Wie alte Tugenden eine moderne Führungskultur prägen – Interview mit Antje Felscher

Tugenden wie Mut, Demut, Klugheit aber auch Vertrauen, Wertschätzung und Aufrichtigkeit sind heute unabdingbar, wenn es um Unternehmens- und Personalführung geht. Auch wenn das Wort „Tugenden“ aus unserem Sprachgebrauch weitgehend verschwunden ist – der konkrete Inhalt ist hochaktuell und keineswegs von gestern. Antje Felscher, Kommunikationsexpertin der mmc AG, erläutert im AGITANO-Interview, wie sich alte Tugenden positiv auf moderne Führung auswirken.

Inhaltsverzeichnis

Tugenden: Modern wie nie

Hallo Frau Felscher. Wer das Wort „Tugend“ hört, denkt an Rittertum, Kirche und Mittelalter. Warum sind Tugenden auch für moderne Unternehmensführung notwendig?

Das Wort „Tugend“ an sich mag altmodisch sein. Aber wenn wir uns anschauen, was man klassischerweise darunter versteht, dann wird schnell klar, dass diese Charaktereigenschaften für eine erfolgreiche, umsichtige und werteorientierte Unternehmensführung sehr wichtig, wenn nicht gar unabdingbar sind.

Klassische Tugenden, wie sie im Wertekanon von Rittertum und Christentum definiert wurden, sind Mut, Demut, Gerechtigkeit, Integrität, Klugheit und Beharrlichkeit. Aber auch im vergangenen Jahrhundert dachten Philosophen und Psychologen noch über Tugenden nach. Der 2016 verstorbene Psychologe Giuseppe Galli beispielsweise ordnet Tugenden als Grundeigenschaften zwischenmenschlicher Beziehungen ein: Vertrauen, Wertschätzung und Aufrichtigkeit waren für ihn entscheidend für das Gelingen von Beziehungen.

Diese Eigenschaften sind nicht nur wichtig für das Gelingen privater Beziehungen, sondern auch für das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Führungskräften. Charakterzüge, wie sie einst die Ritter schätzten, wirken sich auch heute positiv auf die Unternehmensführung aus. Ein unternehmerisches Risiko einzugehen erfordert Mut – es realistisch abzuschätzen Klugheit. Fairness im Umgang mit Mitarbeitern, Beharrlichkeit, wenn es darum geht, Ziele zu verfolgen und Durchhaltevermögen in guten wie in schwierigen Zeiten zeichnen nach wie vor einen guten Führungsstil aus. Sie sehen also: Tugenden unterliegen nicht dem Zeitgeist.

Wieso wird Sozialkompetenz bei Führungskräften gerade jetzt immer wichtiger?

Durch die Digitalisierung und die beschleunigten Märkte befinden sich Kultur und Führungsstil in vielen Unternehmen im Wandel. Mitarbeiter haben heute wesentlich mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten und Freiräume als früher. Diese Veränderung verlangt im Gegenzug auch einen neuen Führungsstil: Der autoritäre Stil der vergangenen Jahrzehnte, der ausschließlich auf Weisung und Kontrolle basierte, ist mehr oder weniger abgehakt.

Und genau an dieser Stelle greifen die bereits erwähnten sozialen Tugenden: Vertrauen in die Fähigkeiten und jeweilige Kompetenz der Kollegen, gegenseitiger Respekt und Wertschätzung sowie ein aufrichtiger Umgang miteinander sind unabdingbar.

Führungskräfte verfügen  daher heute idealerweise über eine hohe Sozialkompetenz. Ihre Rolle ist vergleichbar mit einem Coach, der für Projektteams die richtigen Rahmenbedingungen schafft, ihnen Zugang zu Informationen ermöglicht, Konflikte moderiert und als erfahrener Berater zur Seite steht.

Authentische Wertekommunikation

Was hat es mit dem Trend zur Werteorientierung und deren Kommunikation auf sich?

Integrität und Werteorientierung sollten authentisch in der gesamten Unternehmensorganisation und -führung verankert sein. Durch die sozialen Medien und die steigende Transparenz aller Prozesse kommen Skandale leichter ans Licht. Umso schlimmer, wenn diese eine Doppelmoral offenbaren. Kunden und Konsumenten wenden sich von Unternehmen, deren Moralvorstellungen zweifelhaft scheinen, schnell ab. Das haben die Beispiele Lidl und Schlecker gezeigt, die mit ihrer Überwachungspolitik Sympathien und Kunden verloren haben.  dm hingegen wird als vorbildlicher Arbeitgeber wahrgenommen, der sich seiner sozialen Verantwortung bewusst ist und seit Jahrzehnten kontinuierlich Umsatzsteigerungen verzeichnet.

Was können Führungskräfte aus diesen Entwicklungen ganz konkret für ihren Führungsstil mitnehmen?

Führungskräfte tun gut daran,  die Kommunikation mit den Mitarbeitern im Unternehmen ähnlich zu handhaben wie in der eigenen Familie: Von Wertschätzung geprägt, ohne permanente Bewertung des Verhaltens anderer Mitarbeiter und mit offenen Gesprächen, in denen sich niemand fürchten muss, angeprangert zu werden.

Unternehmen sind dann erfolgreich, wenn sie eine offene und transparente Fehlerkultur leben und das Verhältnis zwischen den Beschäftigten – egal welcher Hierarchiestufe – von Vertrauen geprägt ist. Nur dann können Mitarbeiter ihre Potenziale voll entfalten und sich im Unternehmen einbringen.

Wer ständig Angst hat, für Fehler abgekanzelt zu werden, der traut sich irgendwann nicht mehr,  Vorschläge zu machen. Genau die sind es aber, die Unternehmen voranbringen. Wer in einem Unternehmen arbeitet, das von Misstrauen geprägt ist, der wird seine Ideen eher in der Schublade verstecken, als sie mit Kollegen zu diskutieren und weiterzuentwickeln.

Wohin ein autoritärer und, Medienberichten zufolge, „militärischer“ Führungsstil schlimmstenfalls führen kann, hat der VW-Skandal um die betrügerische Software gezeigt, die längst neben einem katastrophalen Image und Umsatzeinbußen auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.

Wirkt sich eine tugendhafte Unternehmensführung auch positiv auf den Unternehmenserfolg in Form von Geschäftszahlen aus?

Absolut. Kunden und Konsumenten wollen dort kaufen, wo sie das Gefühl haben, das Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden und wo Menschen respektiert werden. Die bereits genannten Beispiele machen das ganz deutlich: Schlecker ging pleite, kurz nachdem öffentlich geworden war, wie der Konzern seine Mitarbeiter behandelte. Lidl hatte dramatische Umsatzeinbußen. Bei VW sanken die Aktien.

Kunden wollen nicht nur „billig“, sie wollen auch mit reinem Gewissen kaufen. Das können sie bei Unternehmen, die bestimmte Werte vertreten.

Frau Felscher, herzlichen Dank für das interessante Interview.

Das Interview mit Antje Felscher, Kommunikationsexpertin der mmc AG, führte Dr. Katja Heumader, Redakteurin AGITANO.

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?