Die Generation Hornbach und das positive Denken

Oder: Wie wir uns zu Tode optimieren

Zwanghaftes Lächeln kann krank machen, das wurde in wissenschaftlichen Studien eindeutig bewiesen. Doch was bedeutet das für das positive Denken? Das positive Denken ist zum Zwang in unserer Gesellschaft geworden, negative Gefühle werden nicht mehr zugelassen. Das ist kontraproduktiv, meint Ulrich B Wagner in seinem heutigen Beitrag zu seiner wöchentlichen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“. Das positive Denken hindere uns daran, das Leben mit all seinen Facetten wahrzunehmen – zu denen eben auch Schattenseiten gehören.

Es gibt immer was zu tun …

Werbeslogan von Hornbach

Positives Denken heißt, sich auf Freitag den 13ten als letzten Tag der Arbeitswoche zu freuen.

Andreas Staeck

Lächle und die Welt lächelt zurück

Lächle und die Welt lächelt zurück, so das positive Denken. Der Autor des Buches Positive Thinking for a positive living Hermann Karstein empfiehlt in seinem „Ratgeberbüchschen“ als Allheilmittel auf alle Probleme dieses Erdenseins: Lächle, lächle, lächle. Oder nehmen Sie den noch populäreren Dale Carnegie, der einem anhaltenden Lächeln gar die größten und wirksamsten Heilkräfte zuschreibt.

Einverstanden, auch ich bin am Ende des Tages nicht gerne ein Miesepeter und griesgrämiger Schattensteher. Auch ich kenne aus meinem eigenen Leben und meinem persönlichem Umfeld die körperlichen und psychischen Vorteile, die das positive Denken mit sich bringt. Doch wenn es zu viel wird, ist es einfach zu viel. Wir Deutschen allein geben jährlich rund neun Milliarden Euro für Ratgeberliteratur, Motivationskurse, Persönlichkeitsseminare und Workshops aus, die uns das positive Denken nahebringen sollen. Das Ganze geht auch noch quer durch alle Bevölkerungs- und Altersschichten.

Dauerlächeln macht krank

Nehmen wir nur den kleinen fünfjährigen Übergewichtigen, dem durch das positive Denken seine vermaledeite Fresssucht ausgetrieben werden soll. Oder die 80-jährige Oma, die durch einen künstlichen, positiven Glücksrausch zu einem ausgelassenen Korsakow mit ihrem Rollator motiviert werden soll, der ihr das triste und einsame Leben in irgendeinem gottverlassenen Pflegeheim aufhübschen soll, denn das Allheilmittel und Rezept auf alle Fragen unseres Lebens lautet heutzutage einzig und allein: Think positive.

Ja, es gibt immer was zu tun, wie es bei Hornbach heißt, und irgendwie kann man dann wirklich nur noch stupide gegen die immer gleiche Wirklichkeit anlaufen. Doch schaut man sich das Ganze einmal in Zahlen an, tun sich nicht nur wahre Abgründe auf, sondern es kommt einem das nackte Grauen.

Doch Stopp an dieser Stelle… Lassen Sie uns nur noch einmal kurz auf das Thema Lächeln zurückkommen. Dass Dauerlächeln sogar schädlich ist, zeigen nämlich die Untersuchungen der amerikanischen Neuropsychologen Paul Ekman, Wallace Friesen und Richard Friesen, die sich nunmehr seit über zwei Jahrzehnten mit dem Lachen, seinen emotionalen Ursachen und Wirkungen beschäftigen. In einer Reihe von Untersuchungen konnten sie eindeutig nachweisen, dass ein künstliches, erzwungenes Lächeln oder Lachen nicht nur mit Gehirnregionen korreliert, die negative Gefühle auslösen, sondern auch, dass künstliches Lächeln sogar krankmachen machen kann. Beispielsweise kann das positive Denken und zwanghafte Dauerlächeln bei Menschen mit einer koronaren Herzkrankheit zu einer Unterversorgung des Herzens mit Sauerstoff führen, die schließlich einen Herzinfarkt verursachen kann.

Das positive Denken führt zur Überforderung

Glauben Sie mir, nichts macht unglücklicher als das zwanghafte positive Denken. Das ganze Gelaber über das positive Denken, die unablässige Arbeit und das Herumwursteln an sich und seiner Psyche überfordern uns nämlich nicht nur, sondern machen uns krank und unzufrieden. Was tun wir uns da eigentlich Tag für Tag in Coachings, Trainings, Selbsterfahrungsgruppen, Fitnessstudios und Schönheitssalons an? Muss wirklich alles besser werden, gibt es wirklich jederzeit etwas zu tun? Oder wäre es vielleicht doch besser, einmal innezuhalten, zu sich selbst zu stehen, sich anzunehmen als das, was man ist, und daraus schließlich das Beste für sich selbst zu machen, ganz ohne auf irgendwelche Trends und vermeintlichen Sieger zu blicken?

Irgendwo in den Weiten seines Denkens hat der Philosoph Peter Sloterdijk eine Studie in Anlehnung an das Rilke-Zitat „Du musst dein Leben ändern“ erarbeitet, in der er uns Kinder der Moderne als Übende beschreibt, die sich selbst immer wieder neu entwerfen und vervollkommnen wollen. „Was ist der Mensch, wenn nicht das Tier, von dem zu viel verlangt wird?“, fragt Sloterdijk Nietzsche zitierend in dieser Schrift? Sloterdijk nennt dieses unermüdliche Streben nach Optimierung, nach dem Über-sich-hinaus, eine Vertikalspannung. Sie wird nicht nur, sondern ist heutzutage für jeden Einzelnen von uns nicht nur eine exisenzielle Herausforderung geworden, sondern ist eine Frage auf Leben und Tod.

Zum Leben gehören auch negative Gefühle

Eine Frage nach Selbstbestimmung, Selbstzufriedenheit, Gelassenheit und Glück. Denn wir sind keine Maschinen, die fortwährend optimiert werden müssen. Negative Emotionen gehören genauso selbstverständlich zu unserem Leben wie Regen und Schnee in die vier Jahreszeiten.

Sie sind nicht nur normal, sondern Bedingung für ein erfülltes Leben. Es ist nicht nur zwanghaft, sondern auch kontraproduktiv, an positiven Gefühlen festzuhalten und ihre Vergänglichkeit zu negieren. Denn selbst wenn sie flüchtig sind, erzeugen sie unauslöschliche Spuren, Ressourcen von Kraft und Energie, die uns auch über die manchmal im Leben notwendigen Mitternächte der Seele hinwegtragen, weil wir bereit sein sollten, beide Seiten des Lebens als, wenn auch vergängliche, Antriebskräfte und Motivatoren unseres Lebens anzuerkennen. Denn auch unsere Angst, unser vermeintliches Versagen, zeigt uns einzig und allein nur die spannenden, kreativen und anregenden Widersprüche des Lebens auf, öffnet uns den Blick für Alternativen, schafft Raum zum Nachdenken, Innehalten und einen freien Blick zu einem selbstgewollten Sein.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Gelassenheit.

Ihr

Ulrich B Wagner

Lesen Sie auch die vorherigen Beiträge zur Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“ von Ulrich B Wagner:

Politiker, die auf Ziegen starren… Über den Irrsinn im deutschen Kanzleramt

Lachen hast Du mir gesagt … Über den Versuch in der Eiskübel-Ära nicht den Humor zu verlieren

Verstehen Sie Spaß? Lakonie & Facebook – Über ein Leben zwischen den Zeilen

Ulrich B Wagner, irrsinn, das positive denken
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema  „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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