Projektmanagement funktioniert nicht „so neben bei“ – das zeigt das Fallbeispiel eines mittelständischen Anlagenbauers ein weiteres Mal. Besonders fatal wird es, wenn die Organisation und das Management Projektmanagement nicht wertschätzen und unterstützen. Gutes Projektmanagement bedarf ausreichender personeller und finanzieller Ressourcen. Oft ist dafür ein grundlegender Wandel der Unternehmenskultur nötig – wie auch im geschilderten Beispiel.
Heute schildert Projektsanierer Henning Zeumer in seiner Serie „Turnaround in Projekten“ einen Fall aus seiner Praxis, indem das Projektmanagement vernachlässigt wurde – und das Unternehmen teuer zu stehen kam.
Mangelhaftes Projektmanagement ist teuer
Nach meiner im Juni veröffentlichten Fallstudie in der IT habe ich eine Vielzahl von Zuschriften erhalten, die meine Erfahrung bestätigten und mich um weitere Beispiele baten. Das impliziert zwar keine Repräsentativität, zeigt aber, dass solche Fälle nicht die Ausnahme sind. Zusammen mit repräsentativen Untersuchungen wie die Standish Group Chaos Reports oder PMI’s Pulse of Profession lässt sich erahnen, wie viel Geld in mangelhaft gemanagten Projekten immer wieder verbrannt wird. Vollkommen unnötig, wie auch das folgende Beispiel aus meiner Praxis zeigt.
Mangelhaftes Time-to-Market in der F&E kostet Marktanteile
Ein mittelständisches Anlagenbau-Unternehmen sah sich nach Jahrzehnten unangefochtener Marktführerschaft seit ein paar Jahren wachsender Billig-Konkurrenz aus dem Ausland ausgesetzt. Die Auftragsbücher waren zwar immer noch gut gefüllt, Eigenkapital komfortabel vorhanden, aber die Kunden diskutierten zunehmend über den Preis und waren auch nicht mehr bereit, Verzögerungen bei der Auftragsabwicklung hinzunehmen.
In mehreren F&E-Projekten hatte man sich an die Erhaltung der Technologie-Führerschaft zur Differenzierung im Preiskampf und zur Senkung von Produktkosten gemacht. Die meisten dieser Produktentwicklungsprojekte waren weit hinter dem Zeitplan und über den ursprünglich budgetierten Kosten. Zudem stockte die Abwicklung von Aufträgen immer wieder in den eigenen Werken, bei den Zulieferern und bei der Montage.
Die Geschäftsleitung hatte bereits eine Reihe von Beratungshäusern mit Rationalisierungs- und Prozessoptimierungsaufträgen engagiert. Aber erst als ein Schlüsselprojekt in der Produktentwicklung mit anderthalb Jahren Verzug vollständig seine Time-to-Market und damit seinen ROI zu verlieren drohte und die Marktanteile massiv wegbrachen, entschloss man sich im Management zur Projektrevision und -sanierung.
Falsche Besetzung – mangelhaftes Projektmanagement kostet Geld
Nach knapp vier Wochen stand meine Diagnose. Hier die Kurzversion:
In der Produktentwicklung arbeiteten hochkarätige Ingenieure meist in mehreren Projekten gleichzeitig, unter der Leitung von für das jeweilige Entwicklungsobjekt besonders qualifizierten Chefingenieuren, die das Projektmanagement eher nebenbei und ohne besondere Ausbildung betrieben. Deren Fokus lag natürlich bei der Technik, Probleme erschienen als lösbar solange Zeit und Geld keine Rolle spielte.
Mangelhafte Führung und Projektleitung – immer neue Verzögerungen
Im Lenkungsgremium war man sich uneins über die Prioritäten der Ziele „konkurrenzlose Technologie“ und „Produktkostensenkung“. Während man hier keine für die Projekte richtungsweisenden Entscheidungen traf, immer neue Vorbehalte hatte und die auflaufenden Mehrkosten lange „wegsteckte“, verzögerten sich in den Projekten immer wieder Entwicklungsphasen und Prototypen. Personal und Maschinen für Tests und Probeläufe wurden bestellt und wieder gecancelt, standen dann zum neuen Termin nicht zur Verfügung, usw.
„Aus Ressourcenmangel“ war die vorherrschende Meinung, tatsächlich aber fehlten Führung und eine verlässliche Planung und Steuerung, gewürzt mit Überlastung und ineffizientem Multitasking. Viele Arbeiten hätten bei klarem Scope nicht zu Konflikten geführt, die Mehrzahl der Tests hätte vor dem Bau teurer Prototypen im Labor erfolgen und damit eine Vielzahl von Vorbehalten und Risiken vorab ausräumen können. Der Lenkungskreis hätte mit einem sinnvollen Reporting und einem Gefühl für eigene Projektverantwortlichkeit viel früher eingreifen können und müssen.
Gleiche Mangelhaftigkeit in Abwicklung und Montage – hohe Margenverluste
Das in der F&E vollständige Fehlen von Projektmanagement und Projekt-Rollenverständnis auf allen Ebenen legte ähnliche Defizite in den Abwicklungsprojekten des Unternehmens nahe.
Die dortigen Projektleiter standen vor der schwierigen Aufgabe, ohne wirkliche Kompetenzen und Ressourcenzugriff die Fertigung in den P&L-verantwortlichen Werken, die Lieferung und die Montage zu koordinieren.
Der Umsatzprovisions-getriebene Verkauf kippte oft mangelhaft geklärte Aufträge und unrealistische Lieferzusagen in die Abwicklung ein, auf der Montageseite, insbesondere bei internationalen Aufträgen, konterkarierten regionale Vertriebsinteressen, Mentalität oder Arbeitsweisen eine plangerechte Auftragserfüllung.
Zulieferer und Kunden hatten häufig eine zu schwache Organisationsreife, um plangetreu beizustellen. So waren viele Projekte bereits bei Auftragsannahme „tief rot“, das Eigenleben der ausführenden Einheiten verhinderten ein zielführendes Projektmanagement, und ihr individuelles Profitstreben machten eine Gesamtoptimierung der Projektmargen unmöglich.
Lösung der Probleme nicht in den Projekten möglich
In beiden Bereichen waren also nicht die Projektleiter und -teams die Hauptursache der Misere, sondern mangelhaftes Bewusstsein und Wertschätzung für Projektarbeit und -management im Unternehmen (Mehr dazu in meinem Beitrag zur Organisation) . Neben der Rettung des F&E-Schlüsselprojektes galt es also, einen sukzessiven Wandel in der „Projektkultur“ des Unternehmens zu erreichen, weg vom funktionalen Produktdenken der Ingenieure hin zum ganzheitlichen Kundenfokus des projektgetriebenen Business. (Dies zeigt übrigens auch schön die strategische Komponente in meiner professionellen Arbeit.)
Ersteres war mit ein paar organisatorischen Maßnahmen, einigen grundsätzlichen Entscheidungen zum Projektziel und einem kleinem Griff in die Projektmanagement-Werkzeugkiste schnell bewerkstelligt. Nach einem guten halben Jahr konnte das Projekt mit einem marktfähigen Ergebnis abgeschlossen werden, ein Folgeprojekt zur weiteren Verbesserung der Technologie wurde daraufhin angestoßen.
Die Gesamtbilanz des Projekts
- Verzug ca. 8 FTE x 1,5 Mannjahre – 650.000 Euro
- Aufwand bis Fertigstellung nochmals 8 x 0,5 Mannjahre – 200.000 Euro
- Revisions- und Sanierungsaufwand – ca.30.000 Euro
- Mehrkosten insgesamt (bei einem geplanten Budget von 750.000 Euro) – ca. 880.000 Euro
aber zusätzlich auch
- Umsatzausfall ca. 200 in 1,5 Jahren nicht gebaute/verkaufte Einheiten – ca. 60 Mio. Euro
„Kulturwechsel“ im Maschinen- und Anlagenbau als Überlebens-Rezept
Der „Kultur-Change“ im gesamten Unternehmen ist noch in vollem Gange, nachdem es dem Management anfänglich sehr schwer fiel, seine Notwendigkeit anzuerkennen. Kultur ist eben etwas Gewachsenes, Denk- und Verhaltensweisen sind nicht so einfach änderbar. Aber wenn statt der roten Null künftig wieder Erträge in der Unternehmensbilanz stehen sollen, mit den Kundenaufträgen (also Projekten) wieder Gewinn statt nur Umsatz gemacht werden soll, ist dieser Aufwand strategisch dringend notwendig und ökonomisch sinnvoll. Warten hieße dagegen, weiter Geld und Marktanteile zu verlieren.
Ihr
Henning Zeumer
Über Henning Zeumer
Henning Zeumer ist seit mehr als 25 Jahren freiberuflicher Programm- und Projektmanager, PMI-zertifizierter PMP®, PgMPSM und auch Certified Scrum Master (CSM®). Seine besondere Expertise ist die Begutachtung und Sanierung gefährdeter Projekte. Er ist dabei auch beratend tätig im Portfolio-, Programm- und Projektmanagement als Advisor zur Entwicklung von PM-Aufbau- und Ablauforganisationen und -Infrastruktur, sowie Coach für Operational Excellence in Projekten.
Weitere Informationen zu Henning Zeumer finden Sie unter www.der-Projekt-Sanierer.de.