„Über virale Sch… und moralische Inkontinenz“ …aus der Business-Kolumne von Ulrich B Wagner

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B WagnerMe, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus

Heute:    Über virale Sch…..
und moralische Inkontinenz

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Die moderne Menschheit hat zwei Arten von Moral: eine, die sie predigt, aber nicht anwendet, und eine andere, die sie anwendet, aber nicht predigt.
Bertrand Russel

Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich aus dem Schlaf gebracht.
Heinrich Heine

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Auch wenn es in der heutigen Zeit modernere oder „elegantere“ Medien geben mag, als eine gedruckte Zeitung, muss ich an dieser Stelle doch zugeben, dass ich es liebe, mich mit einer echten Zeitung, mit der man sich schlimmstenfalls auch noch zudecken kann, sprichwörtlich auseinanderzusetzen, auszubreiten, Raum einzunehmen und ein Zeichen zu setzen.

Denn im Ernst: Wer will schon wirklich eine Zeitung im halbrheinischen Format, wie die „Frankfurter Rundschau“ seit 2007 oder „Die Welt kompakt“, solche Pseudo-Tablets für Platzsparer, Einhand- oder Schmalspurleser, auch wenn es auf den ersten Blick, ökologisch gesehen, gewissenhafter und korrekter aussehen mag. Doch Scherz beiseite, welcher Einfallspinsel glaubt denn heutzutage noch ernsthaft daran, dass auch nur ein einziger heimischer Baum im Zuge der Zeitungsherstellung gefällt wird. Alles sauberes Recyclingpapier, ökologisch gesehen, bzw., sieht man sich so manches Machwerk, jetzt, in einer Zeit, in der die Controller in den Verlagen die Macht übernommen haben, inhaltlich genauer an, wohl eher erstklassig recyceltes Klopapier oder gar Schlimmeres.
Sei’s drum. Später vielleicht mehr dazu.

Ich kann Giovanni de Lorenzo, dem von meiner Seite sehr verehrten Chefredakteur der Wochenzeitschrift DIE ZEIT in seiner Aussage von letzter Woche auf der einen Seite schon zustimmen, wenn er sagt: Wir sind keine Holzhändler, es geht um den Inhalt, nicht um die Form.
Vielleicht liegt es auch an meinem Alter, dass ich die Dinge, die ich wirklich wissen, verstehen und wertschätzen will, anfassen muss, damit ich sie tat-sächlich begreife. Dies gilt bei mir jedoch nicht nur für Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, sondern auch für Menschen, auch wenn meine Startseite im Browser SPIEGEL ONLINE heißt, ich mich täglich mit irgendwelchen wie auch immer gearteten „Freunden“ auf Facebook tummle, meine Kolumnen online veröffentliche und auch ansonsten mittlerweile in der Regel sehr schnell hilflos aus der Wäsche blicken würde ohne Google & Co.

Ich glaube einfach nicht, dass wir Menschen am Ende des Tages wirklich für ein virtuelles Leben oder eine virtuelle Welt geschaffen sind, die sich durch virale Kommunikation und Meinungsbildung auszeichnet. Auch wenn die Form auf den ersten Blick nicht unbedingt direkt den Inhalt bestimmen mag, so tut sie es indirekt doch, in dem sie das Tempo, die Schnelligkeit und Durchgängigkeit der Verbreitung vorgibt.

Es gibt sehr gut recherchierten und aufbereiteten Onlinejournalismus, dort, wo man sich selbst noch wertschätzt. Ich breche an dieser Stelle auch keine Lanze für einen wie auch immer gearteten moralinen Tugendterror.

Trotz alledem. Wenn das wahre Wesen des Marktes in seiner strukturell gefräßigen Freiheit wirklich jenseits politischer Vorgaben besteht, wie es Josef Ackermann häufig betont, und diese Tatsache auch noch mit dem durch solches Gerede erzwungene Verschwinden von fundierter journalistischer Arbeit zusammentreffen, leben wir in einem gesellschaftlichen Klima, das den Gründervätern unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mehr als nur das Grausen gelehrt hätte.
Schon heute leben wir in weiten Teilen in einer Welt, in der die moralisch abstinente Ökonomie mit Heerscharen bestbezahlter PR-Profis das öffentliche Meinungsbild bestimmt und so nebenbei auch noch die Basis für guten investigativen Journalismus austrocknen lässt.

Am Ende des Tages bleibt uns schlimmstenfalls nur eine Dauerberieselung mit viraler Sch….. und eine breite Öffentlichkeit, die sich, angesichts dieses Treibens ermüdet, wehrlos der ungezügelten Freiheit der Märkte unterwirft und in moralischer Inkontinenz anpasst.

Wenn, ja, wenn nicht…

Giovanni de Lorenzo formulierte es in der letzten Ausgabe wie folgt: „Vor allem aber braucht es die Leserinnen und Leser, die in aller Regel wissen, was sie gutem Journalismus verdanken. Allerdings müssen sich die Blätter und ihre Macher diese Zuwendung im buchstäblichen Sinne auch verdienen. Wer für sich selbst keine Wertschätzung empfindet, kann sie auch nicht von anderen erwarten.“

Machen Sie sich doch gerne einmal selbst Ihre Gedanken zu diesem Thema. Ich wünsche Ihnen an dieser Stelle schon einmal einen schönen ersten Advent und schließe mit einer Strophe aus einem Gedicht, das ich neulich auf einer Adventskarte fand:

Alles beginnt mit der Sehnsucht.
Immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille,
nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf.

Ihr Ulrich B Wagner   

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Über den Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie. Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare. Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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