Jugend ist nicht genug
Sind Sie ein guter Autofahrer? Die meisten Menschen sagen dazu ja. Aber können Sie Ihr Auto auch reparieren? Das können nur Wenige. Und ein Auto komplett zu bauen, ist für einen Einzelnen fast unmöglich. Dabei ist es völlig egal, wie viele Kilometer Sie in Ihrem Leben gefahren sind. Eine Sache zu nutzen bedeutet nicht, dass man sie auch reparieren oder gar bauen kann.
Deswegen ist es ein Denkfehler, „die ganzen Digitalsachen“ der Jugend zu überlassen. Ja, junge Menschen sind mit dem Internet groß geworden und nutzen es intensiv. Aber das ist nicht genug um eigene Anwendungen oder ganze Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wischen und Chatten sind keine digitalen Kernkompetenzen!
Eine Frage des Standings
Junge Mitarbeiter haben meist auch nur Juniorpositionen. Das ist ganz normal, aber kann ein Mitarbeiter aus dieser Position heraus ein großes Veränderungsprojekt anschieben? Wohl kaum. Nennen wir das Kind ruhig beim Namen: Für ein großes Projekt brauchen Sie Macht und Einfluss.
Macht und Einfluss kommen mit der Position, der Erfahrung und damit auch mit einem gewissen Alter. Erfahrene Führungskräfte kennen ihr Unternehmen, dessen Strukturen und wissen, wie man Menschen überzeugt und Projekte erfolgreich macht.
An den Taten sollt ihr sie erkennen
Noch einen Faktor sollten Sie beachten: Wenn Sie die Digitalisierung der Jugend überlassen, senden Sie damit zwei Botschaften:
- Erstens, dass Sie selbst keine Lust haben, das Thema selbst in die Hand zu nehmen. Ist das nichts für Sie?
- Zweitens, dass Sie das Thema nicht ernst nehmen. Die Bedeutung des Projekts steht und fällt mit der Bedeutung der Verantwortlichen.
Können und wollen Sie sich das leisten?
Junge Mitarbeiter und ihr unverkrampfter Umgang mit digitalen Medien sind wesentlich für den Erfolg Ihres Projektes. Aber ihnen das Projekt ohne Unterstützung des höheren Managements zu überlassen, verdammt das Projekt zum Scheitern.
Digital ist nicht dasselbe wie IT
„Digitalisierung ist etwas für die IT-Abteilung“ – ebenfalls ein weit verbreiteter Irrtum. Auf sich allein gestellt ist die IT-Abteilung mit dieser Aufgabe überfordert. Es geht nicht ohne die IT – aber sie brauchen die Führung der Chefetage und die Unterstützung der anderen Abteilungen.
Ja, Digital bedeutet Computer, Software, Netzwerke. Sachen, mit denen sich die IT seit Jahrzehnten beschäftigt. Aber die IT-Abteilung hält in erster Linie die Systeme des Unternehmens am Laufen. Und hat damit auch alle Hände voll zu tun: Updates, Austausch von Hard- und Software, Sicherheit, Skalierung, Compliance, Cloud, Produktionsplanung, CRM, ERP… IT ist eine komplizierte Angelegenheit, die jedes Jahr neue Facetten bekommt.
Erst das Was, dann das Wie
Bei der Digitalisierung geht es in allererster Linie um das Geschäftsmodell, um den Wert, den wir als Unternehmen liefern. Dann erst kommt ein Bündel von Produkten und Leistungen oft digital vernetzt. Doch der Entwurf dieser Leistungen ist Aufgabe der Fachabteilung: der Produktmanager, des Marketings, der Entwicklung und aller anderen Menschen, die im Kontakt mit den Kunden stehen.
Die IT begleitet diese Projekte, hilft bei der Implementierung, kümmert sich um Sicherheit und Performance und darum, dass alles zuverlässig läuft. Aber niemand käme auf die Idee, einen Programmierer den Katalog oder einen Showroom entwerfen zu lassen. Genauso wenig sollte er die digitale Schnittstelle zum Kunden gestalten! Die IT-Abteilung muss ja auch nicht die Buchhaltung machen, nur weil sie die Programme dafür am Laufen hält.
Zwei Herzen, ach, in ihrer Brust
In den meisten Unternehmen ist die IT ein sensibles Geflecht aus alter und neuer Hard- und Software, mit unterschiedlichen Schnittstellen auf verteilten Systemen. Änderungen können dieses Gleichgewicht empfindlich stören. Daher ist das Motto vieler IT-Abteilungen „Never change a running system“.
Soweit verständlich. Aber was passiert, wenn junge Entwickler neue Apps ausprobieren und an das alte System koppeln wollen? Wie passt der sorgfältige, risikoscheue Charakter der Abteilung Operations zum abenteuerlustigen Ausprobieren der Abteilung Development? „Devops“ versucht, beide Seiten zu vereinen. Doch ob Sie es „bi-modale IT“ nennen oder eine „IT der zwei Geschwindigkeiten“, Stabilität und Agilität bleiben zwei grundsätzlich verschiedene, oft gegensätzliche Anforderungen. Für visionäre Weiterentwicklung, für umwälzende Veränderungen ist da selten Platz. Kurzum: Die IT hat zu viel mit Computern zu tun um sich um Digitalisierung kümmern zu können.
Ja, wer denn dann?
Die letzte populäre Antwort lautet: Dann macht es ein Start-up! Oder zumindest eine Ausgründung, eine kleine externe Abteilung. Ein paar junge Wilde erfinden die Zukunft und machen damit den alten Tanker Unternehmen flott.
Auch das ist Wunschdenken. Denn allzu oft bleiben diese Aktivitäten „außen“, eine gut gemeinte Abwechslung, die aber am Kerngeschäft nichts ändert. Der einzige Weg zum Erfolg ist, wenn sich alle bewegen. Die schnellen Vordenker, die das schon immer machen wollten, und die breite Masse der zögerlichen Mitarbeiter, die überzeugt und begeistert werden will. Und am Ende auch die Gruppe der Bewahrer, die Wandel als Bedrohung sehen und ihn vehement ablehnen. Auch diese Menschen werden sich irgendwann bewegen müssen – und sei es in letzter Konsequenz hin zu neuen Positionen oder anderen Firmen, bei denen Neuerungen nicht erforderlich sind.
Fazit: Der digitale Wandel ist machbar!
Er klappt, wenn Sie alle mit an Bord holen.
Der nächste Beitrag widmet sich der Produktentwicklung und wen Sie wann mit einbeziehen sollten.
Über Ömer Atiker
Ömer Atiker ist „Der Mann für Digitale Strategie“. Der Keynote Speaker, Berater und Autor begleitet Unternehmen auf dem Weg zur Digitalisierung. 1996 gründete er mit ArtWork eine der ersten Webagenturen der Niederlande, 2006 erfolgte die Gründung von Click Effect, einer Agentur für digitales Marketing. Heute begleitet er als Berater Unternehmen bei der digitalen Transformation. In seinen innovativen Keynotes bringt er charmant und eingängig die digitale Zukunft auf die Bühne.
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